Die Knotenmacher

Von Albertus


Knoten Hannes

Knoten-Hannes lernte ich auf dem einstigen atombetriebenen Nuklearschiff »Otto Hahn« kennen. Dort fuhr er als Bootsmann, er war für mich Kollege, Freund und Helfer in der Not. Ein Seemannsknoten-Spezialist, ein Tauwerk-Doktor sowohl auf See- als auch an Land. Ob Achtknoten, Palstek, Kreuzknoten, oder Kopfschlag, für ihn war das Tauwerk seine große Leidenschaft. Es machte großen Spaß, dem eigenbrötlerischen Bootsmann bei Spleißen und Knüddeln (Knoten machen) zuzusehen.
Hunderte Knotentafeln dürften wohl landauf, landab in Kneipen, Kellerbars oder in manchen Stuben die Wände entlang der Küste verzieren.
Tausende Schlüsselanhänger knotete er unermüdlich in seiner Freizeit. Die bunten Schmuckstücke waren gern gesehene maritime Mitbringsel für Jung und Alt. In seinem Heimatort Cuxhaven gab es eine Gaststätte namens »Kleine Kneipe«, die seine Schlüsselanhänger jedes Jahr zu Weihnachten an die Stammgäste verschenkte.
Ich erinnere den Abend, als er mir in der warmen Abendsonne auf dem Achterdeck der »Otto Hahn« meine Frage nach seinem Beinamen Knoten-Hannes erklärte.
Als er noch auf dem Fischereischutzboot »Poseidon« fuhr, rettete er bei 35 Grad minus die in Seenot geratene dänische Crew eines Postdampfers aus dem Nordmeer (Grönland). Mit bloßen Händen griff er zu. Er schob die dicken Eisschollen beiseite und zog die Seeleute aus dem eisigen Wasser. Während der Rettungsaktion, in der er die Männer vor dem sicheren Ertrinken rettete, zog er sich schwerste Erfrierungen an allen Fingern zu. Alle zehn Finger waren schwarz, eine anstehende Amputierung war praktisch unerlässlich. Mit Leib, Seele und eisernem Willen widersetzte sich der willensstarke Bootsmann energisch gegen die Amputation.
Eine wirkungsvolle Entscheidung, die eine Menge Eigeninitiative und unglaublich viel Fingertraining nach sich zog. Was lag näher, als fortan Seemannsknoten entstehen zu lassen?
Von nun an knüddelte Hannes Stunde für Stunde um seine erfrorenen Finger beweglich zu halten. Durch das filigrane Geknüddel kehrte langsam die Beweglichkeit und die Kraft in seine Finger zurück. Doch die Gefühle und Empfindungen in den Fingern konnte er leider nie mehr zum Leben erwecken, sie blieben im Eismeer.
Für jene Rettungsaktion erhielt der selbstlose Lebensretter das Bundesverdienstkreuz, des Weiteren krönte ihn nun der Beiname »Knoten-Hannes«.
Männer mit einer Vita wie Hans Schulz sie besaß sind rar geworden. Mit dreizehneinhalb Jahren begann der in Danzig geborene Johannes Schulz seine Lehrjahre auf der legendären »Gorch Fock«.
Er litt unsäglich unter Heimweh, besonders nachts. Dann, wenn er in seiner Hängematte lag, sich das Schiff von einer Seite auf die andere rotierte, da rollten bei ihm die Tränen in die Kissen. Sein Schluchzen blieb den anderen Sailors nicht verborgen, tags darauf schickten sie ihn wieder und wieder in den Mastkorb, um einen echten Seemann aus ihm zu machen.
Als ich Knoten-Hannes kennenlernte, war er ein Seebär mit dem Herz am rechten Fleck, hilfsbereit und aufopfernd für Mensch und Tier. Während andere Kollegen in der Freiwache lasen, bastelten oder Tischtennis spielten, gab Hannes den Lebensretter. Er fischte lädierte Lummen aus dem Wasser, reinigte ölverschmierten Vögeln das Gefieder. Mal päppelte er eine vom Kurs abgekommene, ausgehungerte Waldohreule wieder auf, ein anderes Mal brachte er verletzte Robben nach Helgoland zur rettenden biologischen Anstalt. In einem Hamburger Tierheim machte er unvorhergesehen die Bekanntschaft eines Dackels namens Felix. Kurz entschlossen adoptierte er den krummbeinigen Gefährten, nahm ihn mit an Bord und machte einen Globetrotter aus dem Hund.
Hannes Erfrierungen mögen der Grund dafür gewesen sein, dass es öfters mal zu kleineren Blessuren kam. Auf der Otto Hahn durchstach er sich mit der Nähmaschine den Daumen samt Nagel bei einer Segeltuch Reparatur. Wieder musste Hannes eine unliebsame Knoten-Knüddel-Auszeit einlegen.

Der schwimmende Leuchtturm, das Feuerschiff »Elbe 1«, schreibt das letzte Kapitel in Hannes Schulz' Seefahrtsbuch. Bis zu seiner wohlverdienten Seemannsrente fuhr er dort als Bootsmann. Er klopfte Rost, sammelte alle 2 Std.-Messdaten, pinselte Farbe und polierte die wegweisende Laterne für die vorbeifahrenden Schiffe. Er fuhr gerne auf der „Elbe 1“. Oft sagte er, es war wohl sein schönstes Bordleben.
2010 trat Knoten-Hannes seine letzte Reise an...
Einer seiner Wegbegleiter berichtete, dass er »TSCHÜSS Jungs« sagte, »wir sehen uns alle wieder.« Nur kurze Zeit später verstarb Knoten-Hannes im 82. Lebensjahr.



(klicken zum Vergrössern und Bildinfo)


(klicken zum Vergrössern und Bildinfo)


Knoten Kuddel

Auf der Flucht vor den Russen wurde der schmächtige Flüchtlingsjunge Kurt zur Vollwaise. Der Vater war früh im Krieg gefallen. Seine Mutter starb auf dem langen Fußmarsch von Ostpreußen nach Westdeutschland an Schwäche. Kurt wollte in seiner tiefen Traurigkeit bei der Mutter bleiben, die tot am Straßenrand liegen blieb. Begraben konnte er sie nicht, der Boden war tief gefroren und mit einer dicken Schneedecke bedeckt. Die Dorfgemeinschaft, mit der er an der Seite der Mutter unterwegs war, schob ihn mit dem Gewusel immer weiter und redete auf ihn ein. Immer wieder schaute er sich um, wohl wissend, dass es nicht lange dauern würde, bis der Schnee die Mutter zugedeckt hatte. So lief er monoton und leer mit dem Treck immer weiter und weinte in sich hinein. Überhaupt war er ein stiller, trauriger Junge, der viel weinte, das brachte ihn oft Spott seiner Mitschüler ein.
Als der Treck in Schleswig-Holstein angekommen war und er registriert war, brachte man ihn auf einen Bauernhof, wo er schwere Arbeit für sein Essen verrichten musste.
Was ihn ständig an zu Hause erinnerte, war ein dünner Strick, mit dem er das schnell zusammengeworfene Gepäck zusammengebunden hatte. Jenes Bändsel trug er nun wie ein Juwel in seiner Hosentasche, nie wieder würde er sich davon trennen wollen.
Wenn er mit sich alleine war, nahm er es in die Finger und spielte seine geliebten Fadenspiele, die er mit der Zeit immer geschickter ausbaute. Es entstanden anregende Fadenfiguren, wie der Hexenbesen, eine Badewanne, der Eiffelturm und immer wieder ein dickes bauchiges Schiff.
Alsbald übte er sich mit einer Engelsgeduld in Knoten, die er immer wieder aufmachte, um sie abzuändern und neu zu erfinden. Das lieb- und freudlose Leben auf dem Bauernhof machten den jungen Kurt sehr zu schaffen, er trug schwer an den Verlust seiner Eltern und den Menschen, die er kannte. Familienanschluss ergab sich für den 14jährigen nicht. In sich gekehrt, ohne ein Wort des Abschieds verließ er eines Tages den Einödhof. Er fuhr nach Kiel und musterte Ende 1945 auf einem Handelsschiff an. Als er die erste Gangway seines Lebens betrat, ahnte er noch nicht, dass er mit der Seefahrt ein Bund für Leben eingehen würde.
Kurt, der Ostpreußen-Steppke hatte in der Bord-Crew endlich Anschluss gefunden, in dem er sich wohl fühlte. Endlich konnte er sich als neuer Junge (so die offiz. Bezeichnung) an Bord wieder satt essen. Er war nun einer von ihnen, gehörte zur Mannschaft. Das Bändsel in der Hosentasche wurde sein Talisman, nie mehr würde er sich von dieser Erinnerung aus seiner Heimat trennen.
Es war ein Lebensabschnitt den Knoten-Kuddel mir an einem Nachmittag anvertraute, als kaum Gäste im Wrackmuseum waren. Eine Stunde, in der wir uns bei einer Muck Kaffee und selbst gebackenen Kuchen näher kamen. Der bärige Seemann, der die Gäste des Museums durch seine kunstvolle Fancywork-Welt führte, hatte ein langes tiefes Schweigen gebrochen.
Während des Erzählens liefen ihm Tränen übers Gesicht. Flugs fingerte er ein Stofftaschentuch aus der Hosentasche und wischte sich verschämt die Tränen fort.
Wie immer saß er auf seiner alten Seekiste, wo er stets mittwochs saß, mit Riesenhänden knüddelte er an einer Affenfaust. (Affenfäuste sind Knoten, die zum Beschweren des Endes einer Wurfleine, oder zur Sicherung beim Klettern oder einfach nur als Zierknoten dienen).
Auch ich spürte einen dicken Kloß im Hals, ganz unverhofft hatte ich Knoten-Kuddel von einer Seite kennengelernt, die den meisten Menschen verborgen blieb.
»Deern, dass habe ich außer meiner Familie, Frau und Tochter bisher noch niemanden erzählt«, seufzte er.
Nun geh Du mal wieder an Deinen Platz, ich will jetzt ungestört weiter knoten, sagte er sichtlich gerührt.

Kuddels Lebensgeschichte war mir nahe gegangen, so verließ ich den Raum, mit den 100.000 dekorierten Knoten an den Wänden und seinen ausgestellten maritimen Schätzen. Fußmatten, Wandbehänge und Umhängetaschen. Später hat er mir ein winzig kleines Portemonnaie geknotet, dieses einmalige Stück werde ich in Ehren halten. Immer wenn ich es in den Händen habe, erinnere ich mich gerne an den schrulligen Knoten-Kuddel zurück, der 2014 kurz nach seiner Frau verstarb.


(klicken zum Vergrössern und Bildinfo)


(klicken zum Vergrössern und Bildinfo)


(klicken zum Vergrössern und Bildinfo)



DER TÜRKISCHE BUND

(ODER GORDISCHE KNOTEN)


DEN TÜRKISCHEN BUND AUS EINEM ENDE
DEN KNÜPFEN MEISTENS SEEMANNSHÄNDE
MIT VIEL GEDULD UND NOCH MEHR GESCHICK
SO ENTSTEHT DANN DAS GUTE STÜCK.
OB DREI, OB NEUN ODER HUNDERT PARTEN
DEN KNOTEN MACHT MAN AUF VIELERLEI ARTEN:

ZUERST ÜBER DER HAND UND DANN AM OBJEKT
DARAUF WERDEN DIE BEIDEN ENDEN VERSTECKT
WER IMMER IHN MACHT, WENN ER RICHTIG GEBUNDEN‘
HAT NOCH NIEMAND WEDER ANFANG NOCH ENDE GEFUNDEN
UM DAS KUNSTWERK ZU LÖSEN MUSS EXPERTE MAN SEIN
DENN DEM KNOTENERFINDER FIEL WAS SCHWIERIGES EIN:

KÖNIG GORDIUS VON PHRYGIEN HATTE AN SEINEM WAGEN
AN DER DEICHSEL DEN GORDISCHEN KNOTEN GESCHLAGEN
UM DEN KÖNIG ZU EHREN TRUG ER DIESEN NAMEN
UND VIELE FREMDE NACH PHRYGIEN KAMEN
MAN WOLLTE DAS LÖSEN DES KNOTENS PROBIEREN
UND ALS HERRSCHER IN ASIEN REGIEREN.

DOCH KEINEM GELANG ES, MAN HATTE KEIN GLÜCK
SO KEHRTEN SIE TRAURIG NACH HAUSE ZURÜCK
DANN KAM ALEXANDER, DER VON DER SAGE GEHÖRT
UND TEILTE DEN KNOTEN MIT SEINEM SCHWERT
DANACH KONNTE ER NUR NOCH ERFOLGE GENIESSEN
DENN DER GROSSTEIL VON ASIEN LAG IHM ZU FÜSSEN.

DIE ZEIT LIEF WEITER UND MAN HAT UNTERDESSEN
DIE MACHART DES GORDISCHEN KNOTENS VERGESSEN
DOCH ES IST ZU VERMUTEN, AUS SEHR GUTEM GRUND
DER GORDISCHE KNOTEN IST EIN TÜRKISCHER BUND
BEI 5000 KNOTEN KANN MAN KEINEN ENTDECKEN
BEI DEM MAN DIE ENDEN KANN SO KUNSTVOLL VERSTECKEN.

ZUR ZEIT ALEXANDER'S GAB ES MAGISCHE ZAHLEN
DAS WIRD DIE VERMUTUNG SEHR STARK UNTERMALEN
DENN DREIMAL MACHT DER FADEN IM KNOTEN DIE RUNDE
UM FERTIG ZU STELLEN, BRAUCHT MAN GUT EINE STUNDE
NACH DIESER ZEIT KANN JEDER KNÜPFER ERWARTEN
SEIN TÜRKISCHER BUND HAT DANN RUND 13 PARTEN.

ICH MACH' IHN SCHON LANGE, ICH LIEBE IHN SEHR
MAN BRAUCHT SEHR VIEL ZEIT, DENN DER ANFANG IST SCHWER
SO BRAUCHT ICH IM LEBEN SCHON ZIG METER BAND
DOCH ER GEHT MIR INZWISCHEN GANZ FLOTT VON DER HAND
UND HAB ICH IHN FERTIG AUCH SPÄT IN DER NACHT
DANN MUSS JEDER GESTEHEN, ER IST EINE PRACHT.


(klicken zum Vergrössern)


(klicken zum Vergrössern)


(klicken zum Vergrössern)



Das Copyright für die Texte und die Fotos liegt bei Ch. Hamann/ Cuxhaven.

Zum Seitenanfang