Dieser Bericht enthält nicht die aufsehenerregenden Erlebnisse eines Frontsoldaten der Wehrmacht, sondern die eines einfachen Soldaten, der das letzte Kriegsjahr im Gegensatz zu vielen anderen Kameraden unter glücklichen Umständen überlebt hat.
In Kürze wird es 70 Jahre her sein, dass ich nach einem 3 monatigen Arbeitsdienst im Winter 1943/44 im polnischen Repin pünktlich zu meinem 18. Geburtstag Anfang April 1944 die Einberufung zum Wehrdienst vom Wehrbereichskommando Schneidemühl in Pommern erhielt. Da ich gerade mit der "HESSEN" zu Schiessübungen unterwegs war, konnte ich erst Mitte April der Einberufung Folge leisten, staunte aber nicht schlecht als ich statt bei der Marine bei den Panzergrenadieren in Stettin-Kreckow landete.
Doch beginnen wir von vorne!
Noch vor meiner Rekruten-Zeit bei einer Einheit der 1. SSt.-Abt. in Svendborg erhielt ich nach Abschluss meiner Ausbildung als Elektriker auf der KM-Werft in Wilhelmshaven ein Bordkommando beim Fernlenkverband in Swinemünde im April 1943. Die Verbandsführung befand sich in Misdroy unter dem Kommando von Kpt.z.S. Walter Schloifer und dem LI des Verbandes, Kpt.z. S. (Ing.) Paschen. Bis August 1942 gehörte der Verband noch zur KMW-in WHV, nach der Verlegung dann unterstellt der Marineartillerie-Inspektion Ostsee.
Mein Borddienst begann zunächst auf dem Zielschiff "ZÄHRINGEN", zu dem das Fernleitboot "KOMET" ex T 123 gehörte. Unser Liegeplatz war in Swinemünde-Osternothafen in Nähe des Leuchtturmes. Die erste Fahrt führte in die Bucht von Eckernförde zum Torpedoschiessen zur Erprobung neuentwickelter Zünd-Mechanismen und anschliessend in das Seegebiet vor Arkona zum Zerstörer-Übungsschiessen. Geschossen wurde mit Aufschlagzünder-Granaten, die nur eine Gefechtsladung von ca.10% hatten.
Das Essen war gut und reichlich, nur die Kojen lagen direkt an der Bordwand, so dass man stets die Nietenköpfe vor Augen hatte und bei Fahrt das Gurgeln hörte vom rauf und runter, denn der Dampfer hatte ein schlechtes Seeverhalten und stampfte ganz schön.
Während die Besatzungen auf den Fernleitbooten Angehörige der KM waren, bestand das seemännische und technische Personal auf den Zielschiffen überwiegend aus zivilen Mitarbeitern der Marinewerften, so dass wir unter Reichsdienstflagge fuhren.
Auf dem Schiff war ich für die Wartung der Einrichtungen im E-Bereich zuständig. Hierzu gehörten auch die ständige Erneuerung der Mündungsfeuer-Kartuschen mit den Klemm-Verbindungen und die Kontrolle der Temperatur-Sensoren im Wellentunnel.
Mit den beiden Expansions-Dampfmaschinen kam die "Zähringen" auf ca. 13 kn, konnte jedoch bei Fernlenkfahrt nur voraus fahren. Die Fernsteuerung erfolgte im Festfrequenz-Impulsverfahren mit einem Heb-Drehwähler mit max. 99 Ansteuerungs-Plätzen.
Im Juni 43 wurde ich auf die "HESSEN" versetzt. Der technische Leiter war der Marine-Ing. Hoffmann. Auch hier war mein Arbeitsbereich ähnlich wie auf der "Zähringen", nur mit etwas mehr Komfort an Bord. So gab es z.B. bessere Mannschaftsräume und Platz war genug, denn das Schiff fuhr nur noch mit reduzierter Besatzung, so dass auch schon mal Kartoffelschälen angesagt war.
Die "Hessen" erreichte mit den 2 Turbinensätzen eine Geschwindigkeit von ca. 18 kn, konnte bis zu 7 Stunden ferngesteuert fahren mit 7 Fahrstufen und konnte auch rückwärts laufen. Auch die Funksteuerung entsprach dem letzten Stand der Technik. Hier kam das Mehrfach-Frequenz-System zum Einsatz, so dass es für Kommandos und Rückmeldungen keine Beschränkungen gab, was die Anzahl der Kanäle betraf.
Das Schiessen mit grösserem Kalber als 15 cm erfolgte überwiegend im Seegebiet vor Bornholm. Im Hafen von NEXÖ ging dann auch die Freiwache an Land, vom begleitenden Hochseeschlepper "NORDER", der uns hier mit einem grossen Kessel Erbsensuppe absetzte. Waren die Schiessübungen vor Arkona,so mit gleichem Ritual; hier erfolgte dann das Ausschiffen der Freiwache im Hafen von Sassnitz.
Interessant war das Schiessen mit Kaliber bis 15 cm. Hier versammelte sich unsere Wache im mit 10 cm starken Stahlplatten geschützten Raum mit ständiger Funkverbindung mit der "BLITZ". Wir bekamen dann Beginn und Ende der Übung mitgeteilt und machten danach die Trefferaufnahme mit Protokollierung an Oberdeck. Das Auftreffen der Granaten hinterliess einen sehr starken hellen Klang. Wenn eine Zerstörer-Halbflottille oder die "LEIPZIG" am schiessen war, so dauerte es schon mehrere Stunden, bis von der "Blitz" die Meldung kam : " Das Schiessen ist für heute beendet".
Beim schweren Kaliberschiessen ging die Crew auf die "BLITZ" die für die Trefferaufnahme notwendig war um die Protokolle nach dem Längsseitgehen zu erstellen. Da es auf der Blitz sehr eng zuging, mussten wir am Oberdeck ausharren; neben der Funkbude fand ich dann auch schon mal einen warmen Platz.
Sofern wir auf den Schifffahrtswegen unterwegs waren, musste die Fahrt in einem Konvoi erfolgen. Da die RAF nachts immer Treibminen abwarf, fuhr vor uns ein grösseres Vorpostenboot mit einer Minenspiere vorweg, doch unsere Minenräumboote waren immer im Einsatz, so dass mir ein Minentreffer auf der "HESSEN" bis Kriegsende nicht bekannt war.
Die grösseren Reparaturen erfolgten auf der Werft in Kiel-Gaarden, aber auch in Gotenhafen; auf beiden Werften war ein Ersatzschornstein vorhanden. So zählten "Hessen" und "Blitz" zu den Schiffen, die das Kriegsende ohne grössere Blessuren überstanden haben, die "Zähringen" hingegen wurde durch Bombentreffer 1944 in Gotenhafen versenkt und 1945 nach Hebung als Blockadeschiff zusammen mit der "Gneisenau" vor der Hafeneinfahrt versenkt.
Mit einer dreimonatigen Unterbrechung zum Arbeitsdienst 1943/44 endete meine reguläre Dienstzeit auf der "HESSEN" Mitte April 1944, danach noch mal im Mai ein kurzes Wiederanbordgehen, leider folgte dann der ungeliebte Militärdienst.
Am Ende der dritten Ausbildungswoche mit Schleifdienst auf dem Kasernengelände wurde ich plötzlich zur Schreibstube gerufen, wo mir der Kompanie-Spiess die freudige Botschaft übermittelte, dass ich mit sofortiger Wirkung entlassen sei auf Anweisung des Wehrbezirkskommandos Schneidemühl. Der Hauptfeldwebel sagte nur zu mir... so ein Glück möchte ich auch wohl haben, holen Sie sofort ihren Koffer mit den Zivil-Klamotten ab, der liegt noch auf dem Postamt in Stettin. Mit dem Entlassungsschein und einem Wehrmachtsfahrschein machte ich mich auf dem Weg nach Wilhelmshaven, meiner Heimatstadt. Ich möchte nicht ausschliessen, dass evtl. das Fernlenk-Kommando in Misdroy wegen der Einberufung zum Heer Einspruch erhoben hat, denn Entlassungen zu diesem Zeitpunkt waren doch sehr ungewöhnlich.
Da in WHV kein neuer Einberufungsbefehl vorlag, schickte ich sofort ein Telegramm nach Misdroy mit der Bitte um Mitteilung, ob ich wieder an Bord kommen kann. Die Antwort kam postwendend wie folgt: Bitte kommen Sie zur Einschiffung auf die "HESSEN" nach Swinemünde. Im Personal-Büro der Marinewerft schräg gegenüber von Werfttor I erhielt ich meinen Fahrschein und machte mich auf dem Weg nach Swinemünde.
So kam ich wieder an Bord und meldete mich zum Dienstantritt bei meinem technischen Leiter, dem Marine-Ing. Hoffmann. Es folgte dann meine letzte Fahrt auf der "HESSEN" zu Schiessübungen im Seegebiet vor Bornholm.
Nach Einlaufen in Swinemünde Mitte Mai 1944 lag schon der neue Einberufungsbefehl vor, dieses Mal nun zur Marine nach Friedrichsort, einer Bereitstellungsabteilung der 1. SST.-Abtlg. Ostsee. Nach kurzer Musterung mit einem Gesundheits-Check, wobei wegen einer Kalknarbe im Ohr ich nicht als U-Boottauglich eingestuft wurde. Nach Einkleidung in Marine-Blau, die aber im Seesack eigepackt wurde, erfolgte auch das Feldgrau -Einkleiden, dass für lange Zeit meine Uniform bleiben sollte.
Nach laufenden Rekruten-Zugängen wurde schnell die Kompanie-Stärke von ca. 120 Mann erreicht, und so ging es nun mit der Bahn ca. am 25. Mai mit dem Seesack für eine 3 monatige Rekrutenausbildung nach Svendborg auf die Insel Fünen. In einer Hotelanlage nahe am Strand bezogen wir Quartier, jedoch nicht in den Hotelzimmern, sondern in einem ehemaligen Pferdestall auf Feldbetten mit Strohauflage. Hier erhielten wir nun auch Drillichzeug und eine Knarre. Das ganze weiträumige Gelände war eingezäunt und hier wurden auch alle Ausbildungsphasen absolviert.
Ich wurde dem 1. Zug unter Führung von Feldwebel Müller zugeteilt, der auf dem Foto auch zu sehen ist. Angenehm war, dass uns die Ausbilder nicht schikanierten. Ausser Badefreuden gab es jedoch keine Abwechslung im Rekruten-Alltag; erst nach der Vereidigung Ende August 44 hatte ich einen freien Sonntag Nachmittag für einen Stadtbummel in Svendborg. Gaumenfreuden gab es in der Kantine, dort gab es leckere kleine Sahnetörtchen für eine Krone, davon habe ich reichlich zu mir genommen.
Am 20.7.1944 wurde unsere Kompanie nach dem Attentat auf Adolf Hitler in Alarmbereitschaft versetzt. Nach ca. 7 Tagen wurde diese aufgehoben und danach der Hitler-Gruss eingeführt.
Planmässig wurde Ende August die Grundausbildung abgeschlossen, so dass ich nun hoffnungsvoll einem Bordkommando entgegensah. Doch es kam ganz anders, denn nach Abgabe der Seesäcke war klar, dass dieser Wunsch nicht erfüllt werden konnte.
Bis Mitte September übernahm dann unsere Kompanie die Eingangskontrolle der Werft in Svendborg, da mit Sabotage zu rechnen war. Mit Doppelposten und Gewehr bei Fuss mussten sich alle Personen ausweisen, die Marineleute mit der Tagesparole und die Zivilisten mit einem Passierschein des Hafenkommandanten.
Wie wir erst später in Erfahrung bringen konnten, wurden wir von der Marineleitung dem Heer übergeben und in das 295. Rgt. der 18. Volksgrenadier-Division eingegliedert. Am 19.8. 44 erliess Hitler einen Geheimbefehl zur Aufstellung einer Streitmacht in einer Grösse von ca. 25 Divisionen, deren Organisierung Generaloberst Jodl übertragen wurde mit dem Auftrag, bis Ende November an der Westfront diese Kräfte für eine Offensive bereitzustellen.
Um den 20. Sept. verliess dann unsere Kompanie ohne die Ausbilder feldmarschmässig mit neuer Führung per Bahn Svendborg in Richtung Westen mit Eintreffen am frühen Abend in der Vulkan-Eifel mit Ausladen am Zielort HILLESHEIM. Von dort erreichten wir nach einem Marsch von ca. 20 Km die Westwall-Bunkeranlage zwischen den Orten ORMONT und HALLSCHLAG, direkt vor der belgischen Grenze gelegen.
Die Bunkeranlagen wurden in der Zeit von 1938-1940 vom Arbeitsdienst und der Org. Todt gebaut. Mein Zug wurde in einem Doppel-Gruppenunterstand untergebracht, worin bis zu 40 Soldaten in 2 Räumen Platz hatten. Da die Bunker nach dem Frankreich-Feldzug nicht mehr benutzt wurden, sah es ziemlich trostlos drinnen aus, ausserdem gab es kein Strom - und Wasseranschluss. Abends brannte nur eine Petroleum-Funzel und sehr früh legte man sich auf klapprige Feldbetten zum Schlafen.
Unsere Bunker befanden sich in einem Waldstück, und obwohl diese nur ca.80 Meter auseinanderlagen, hatten wir doch keine Sichtverbindung und keinen Kontakt mit anderen Kameraden der Kompanie. In unserem Bunker war auch der Kompanie-Spiess untergebracht, Hauptfeldwebel Zimmermann aus Oldenburg, mit dem ich mich als Fast-Landsmann recht gut verstand. Mit ihm habe ich viele Baumstämme zersägt, damit der Ofen als einzige Wärmequelle in Betrieb blieb.
Ansonsten sollte hier für fast 3 Monate eine trostlose Zeit anbrechen. Von der Heimat erreichten uns nur wenige Briefe und wenn, dann meist mit schlechten Nachrichten.
Tagsüber konnten wir uns auf einer kleinen Waldschneise vor dem Bunker bewegen. Kurz vor der letzten Baumreihe nahe der belgischen Grenze war ein kleiner Schützengraben ausgehoben, von wo aus die amerikanische Frontlinie beobachtet wurde, denn die Vorhut der 1. US-Army war nicht mehr als ca. 1,5 Km von unserer Linie entfernt, jedoch ohne jeden operativen Auftrag, denn die Hauptstreitkräfte mussten erst wieder erneuert werden.
Nachts wurden gelegentlich von unserer Kompanie bei günstigen Lichtverhältnissen Spähtrupps, bestehend aus zumeist 2 Freiwilligen, zur Erkundung nahe der Ami-Frontlinie entsandt. Nachdem aber 3 Trupps in Gefangenschaft gerieten oder sich ergeben haben, wurden diese Aktionen später abgebrochen. Doch wurden wir bald von amerikanischer Marschmusik beschallt, die von der Vorhut aus starken Lautsprechern ertönte, und anschliessend von unseren Gefangenen der Satz zu hören war...Hallo Kameraden, kommt rüber zu uns, hier habt ihr prima Essen und uns gehts gut. Danach auch noch eine amerikanische Stimme....Hallo Soldaten vom Honig-Bataillon Golz, kommt rüber zu uns, dann ist der Krieg für Euch zu Ende.
Durch die gefangenen Kameraden waren nun die Amis über unsere miserable Verpflegung informiert. Ich glaube, in Gefängnissen gab es besseres Essen; Brot und Kunsthonig waren die tägliche Hauptnahrung, manchmal etwas Obst und ganz selten mal eine dünne Suppe. Der Bataillonskommandeur Hauptmann Golz war ständig bemüht, die Bunkerbesatzungen zu trösten und versprach Besserung der Situation.
Der eintönige Bunkeralltag machte depressiv und ich konnte in meiner Einheit niemand erkennen, der in dieser Zeit und unter solchen Bedingungen noch hochmotiviert seinen Dienst versah. Alle gingen nun davon aus, dass in Kürze eine Offensive der US-Army erfolgen könnte, doch es kam alles ganz anders.
Wie bekannt ist, wurde in den Morgenstunden des 16.12.1944 die Ardennenoffensive unter dem Decknamen "Die Wacht am Rhein" unter grösster Geheimhaltung gestartet, selbst höhere Wehrmachtsoffiziere und besonders die US-Army wurden total überrascht, ging man doch davon aus, dass die Aufstellung der Truppenverbände nur der Verteidigung dienen sollten. Auch das Wetter spielte mit, so dass die Luftwaffe beider Seiten wegen schlechter Sicht nicht in die Kämpfe eingreifen konnte.
Am Morgen des 16.12. wurde um 5:00 früh der Alarmzustand im Bunker ausgerufen, neben zusätzlicher Munition erhielt jeder von uns noch 2 Handgranaten, die im Koppel eingesteckt wurden, aber keine Notverpflegung wie allgemein üblich. Um 5:20 dann Abmarsch zum Sammelplatz, wo unsere Kompanie in einer grösseren Lichtung Aufstellung nahm. Hier trafen wir auch die Kameraden der beiden anderen Züge zum letzten Mal. Der Kompaniechef wünschte allen für die Operation Glück und Gottes Segen, und dazu wurde noch ein Korn-Schnaps überreicht. Nach kurzer Einweisung begann dann gegen 6:00 Uhr der Vormarsch in einer breitgefächerten Formation mit starker Artillerie-Unterstützung. So kamen wir ohne direkte Feindberührung schnell voran, da die Vorhuten der 1. US-Army bereits mit dem Einsetzen des Granatfeuers in den zurückliegenden Auffangstellungen ihre Positionen einnahmen.
Nach einigen Kilometer Geländegewinns erwiderten die Amis das Artilleriefeuer, wobei eine Granate in meine Zug-Formation einschlug. Ich befand mich ca. 10 Meter vom Einschlag entfernt und lag natürlich gleich flach, denn ein Granatsplitter hatte meinen rechten Oberschenkel durchschlagen. Den Schmerz spürte ich nicht, aber vom auslaufenden Blut wurde mein Bein warm und es war keine Bewegung mehr möglich. Ich versuchte durch Abdrücken den Blutfluss zu stoppen, was einigermassen gelang. Nach Abflauen des Artilleriefeuers war mir klar, dass die Offensive voran kam und wohl kein Gegenstoss zu erwarten war; danach ein Gebet nach oben.
Nach einiger Zeit kamen nun auch die Sanitäter und legten mir einen Wundverband an. Zunächst mussten jedoch die Schwerverwundeten abtransportiert werden, so dass ich erst später abgeholt wurde. In meinem Zug fielen hierbei 3 Kameraden und 5 wurden schwer verletzt. Durch den grossen Blutverlust verlor ich das Bewusstsein, so dass ich den Abtransport zum Sammelplatz nicht mehr wahrgenommen habe. Erst als mir die Tannenzweige ins Gesicht fielen, muss ich wohl die Augen geöffnet haben. Man dachte wohl ich sei schon tot denn ich hatte nur noch schwache Atmung. Also hat man mich dann zu den Verwundeten gelegt und nach etwas heissem Tee kam ich langsam wieder zu mir.
Am späten Nachmittag erfolgte dann der Weitertransport per LKW zum Hauptverbandsplatz nach Stadt-Kyll. Hier wurde ein neuer Verband angelegt und die so wichtige Spritze gegen Wundstarrkrampf injiziert. Am 18.12. erfolgte dann der Weitertransport in ein Krankenhaus nach Menden/Westf. Hier erhielt ich nach langer Zeit mal wieder warmes Essen und Betreuung durch Rote-Kreuz-Schwestern. Am 22.12. wurde von hier ein Lazarettzug zusammengestellt, der uns nach Halle/S. brachte. Es waren erschütternde Szenen, die sich im Zug abspielten. Viele verbrannte Panzersoldaten, bei denen nur noch die Augen zu sehen waren, rannten halb wahnsinnig vor Schmerzen in den Gängen herum und mussten später auf den Betten festgeschnallt werden. Für die armen Kameraden war wohl nicht genügend Morphium vorhanden.
Im Militär-Hospital wurde ich in einen Saal mit ca. 20 Betten eingewiesen. Es war das schönste Weihnachtsgeschenk, mal wieder in einem richtigen Bett zu liegen. Bei guter Betreuung mit komplizierter Wundbehandlung, die Austrittsöffnung war ca.3x4 cm gross, musste ich erst wieder auf Krücken das Laufen lernen und konnte dann am 12.2.1945 das Verwundeten-Abzeichen entgegennehmen. Anfang März durfte ich schon etwas frei laufen und am 25.3. bekam ich noch einen 10 tägigen Heimaturlaub geschenkt.
So schön wie es war mal wieder die Eltern sehen zu können, war es doch auch ein trostloser Anblick. WHV war zu fast 70 % zerstört, und von meinen 6 Jugendfreunden waren schon 4 gefallen, davon 2 auf U-Booten. Am 30.3. erlebte ich noch den letzten grossen Luftangriff auf Wilhelmshaven allein im Luftschutzkeller unseres Wohnhauses, als ca. 40 Meter entfernt die letzte 250 Kg-Bombe eines Teppich-Abwurfes explodierte und ein Wohnhaus schräg gegenüber vom Marine-Bekleidungsamt schwer beschädigte. Da ging mir ganz schön die Muffe, das Haus schwankte wie ein Schiff auf hoher See.
Am letzten Urlaubstag meldete ich mich beim Spiess in der Jachmannkaserne, da ich einen neuen Marschbefehl benötigte. Diesen erhielt ich dann von der 1. SSt.Abt. Friedrichsort. So wurde von mir aus einem Grenadier wieder ein Matrose, doch konnte ich wegen stetiger Umorganisation auch nicht zum Gefreiten ernannt werden. In Kiel erhielt ich wieder Knarre und Ausrüstung und wurde in einen schon bestehenden Zug eingegliedert.
Es war wohl an einem Sonntag, dem 14.4., als ich Ausgang bis 22:00 bekam und mit dem Fährboot von Friedrichsort nach der Anlegestelle Kiel-Bellevue fuhr, um mich dort umzusehen. Die Rückfahrt sollte dann lt. Fahrplan gegen 19:30 erfolgen. Das klappte jedoch nicht, da auf der Förde Nebel aufzog und das Boot nicht auslaufen konnte. So machte ich mich nun langsam auf den Weg zu Fuss nach Friedrichsort. Hier traf ich dann gegen Mitternacht ein, und der Posten informierte sogleich den UvD wegen Zeitüberschreitung.
Auf meiner Stube angekommen war ich nur noch allein, da der Zug gegen 23:00 feldmarschmässig in Richtung Waren-Müritz die Kaserne verliess. Am Morgen um 7:00 wurde ich zur Schreibstube gerufen wo mich der Spiess erst mal zur Schnecke gemacht hat und mir unerlaubtes Entfernen von der Truppe vorwarf. Ich konnte ihm dann aber den Sachverhalt erklären, so dass ich am 16.4. mit 30 Führungsbüchern im Gepäck (nur meins war nicht dabei) die Reise nach Waren-Müritz antrat. Dort traf ich erst 2 Tage später ein, denn die Jabos der Allierten griffen immer wieder die Lokomotiven an, so dass die Züge dann stundenlang stehenblieben bis eine neue Lok ankam. Es war eine tolle Leistung der Reichsbahn, wie sie unter schwierigsten Bedingungen den Verkehr noch halbwegs aufrecht erhalten konnte.
Als ich mich beim Spiess in Müritz meldete, es war auch eine Bereitstellungsabteilung der 1.SSt.Abt., teilte er mir mit, dass mein Zug bereits abkommandiert und in eine Marine-Infanterie-Abteilung integriert sei und weiter nach Osten verlegt wurde. Um den 24.4. war bereits das Artilleriefeuer der Roten Armee zu hören die sich bereits Neu-Brandenburg näherten.
Am 28.4. kam die Order, alle wichtigen Unterlagen und Ausrüstungen im Barackenlager zu zerstören. Es waren nur noch 4 weitere Matrosen im Lager, die zusammen mit dem Spiess diese Aufgaben erledigten. Am 30.4. kam ein Oblt. zu uns und teilte mit, dass wir das Lager verlassen und uns in Richtung Westen absetzen sollen. Es wurde auch höchste Zeit, denn am 1. Mai rückten bereits russische Streitkräfte kampflos in Waren ein.
So marschierten nun meine 4 Kameraden und ich gen Westen, wo wir am 1.5. ohne Bewaffnung den ersten Kontakt mit einer Vorhut des XVIII. US-Korps westlich von Parchim hatten. Diese fuhren mit ihrem Jeep jedoch weiter. Am 2.5. erreichten wir nach ca. 60 Km Fussmarsch das Auffanglager vor der Stadt Hagenow. Farbige Amis nahmen uns hier in Empfang und filzten uns von oben bis unten; auch geklaut wurde einiges, sogar mein Fleischorden.
Auf einer eingezäunten Wiese waren weit über 100 Soldaten festgesetzt und täglich kamen mehr dazu, denn die Wehrmacht war schon in der Auflösung begriffen. Man gut, dass wir noch eine Notverpflegung bei uns hatten, denn zu essen gab es in diesen Tagen nichts. Um den 5. Mai übergaben uns die Amis den Engländern, die uns in Güterwagen nach Heiligenhafen und weiter auf die Insel Fehmarn brachten. Dort wurden wir in einem grossen Zeltlager vor dem Ort Burg untergebracht. Für Ordnung und Disziplin in den Zelten mit ca. 25 Schlafplätzen sorgten die Unteroffiziere der Wehrmacht, von den britischen Soldaten war nichts zu sehen. Die Verpflegung war miserabel und zu allem Überdruss machten sich auch noch die Läuse breit bis zu den Kopfhaaren. Abends wurden die Biester dann zwischen beiden Daumennägeln geknackt, aber das Jucken nahm kein Ende.
Mitte Juni 45 wurde die erste Gruppe zur Entlassung aufgerufen, es waren die Landwirte. Auch ich meldete mich und gab an, dass mein Onkel in Ostfriesland einen grossen Bauernhof hat. Es war eine Gruppe von ca. 20 Soldaten, die von Heiligenhafen per LKW zum Entlassungslager vor EUTIN gebracht wurde. Zuerst wurden wir jedoch von den Läusen befreit mit einer grossen Ladung DDT-Pulver, das mit einer grossen Pumpe von oben bis unten verabreicht wurde; war das eine Erlösung!!
Auch hier hatten wieder die Feldwebel der Wehrmacht das Sagen, diese nahmen auch die Daten auf und erstellten die Entlassungsliste. Als ich mein Soldbuch vorlegte, wurde ich gleich fertiggemacht, ich gehöre doch als Elektriker zu den Bauhandwerkern, dies ist die 2.Gruppe. Also zurück auf Fehmarn, doch diesen Befehl führte ich nicht aus.
Man hätte nun leicht abhauen können, aber ohne Zivil-Kleidung war es schwierig, da wäre man nicht weit gekommen. Aber ich hatte mal wieder Glück, denn nach einigen Kilometern Fussmarsch sah ich neben der Strasse einen Bauernhof. Vor der Scheune konnte ich jemand ausmachen, der sich in blauer Marine-Uniform bewegte. Als ich näher kam, war es ein Bootsmann, der ca. 30 Soldaten der Marine betreute, die hier einquartiert waren. Ich schilderte ihm mein Problem mit der Bitte hier bleiben zu können und gab ihm mein Soldbuch. So bekam ich noch einen Schlafplatz mit Stroh oben auf dem Tennenboden. Es war ein lustiger Haufen mit netten Kameraden.
Um den 20.7. wurden nun auch die Bauhandwerker zur Entlassung aufgerufen und so begab ich mich zum Lager nach Eutin. Diesmal klappte es besser und so erhielt ich den Entlassungsschein von einem britischen Offizier ausgehändigt. Mit Mannschaftswagen der britischen Streitkräfte ging es nun über Oldenburg nach Wilhelmshaven, wo ich am 27.7. im Kreis der Familie gelandet bin. Damit war dann das Kapitel Wehrmacht für mich beendet.
Bereits Anfang August hatte ich wieder Kontakt mit der Marine, als ich auf der Werft meine Tätigkeit aufnahm mit der Wiederherstellung der Energieversorgung, doch leider ohne Perspektive, denn nach dem Kontrollratsbeschluss wurde die Werft plattgemacht, so dass ich Mitte 1947 von der Werft Abschied nahm und auch von meiner Heimatstadt.