Wenn man im Internet nach dem „Reichsausbildungslager (RAL) Tegetthoff“ sucht, erhält man unter
- 1.Marine-HJ, viele Fragen, aber keine Antworten oder Informationen und unter
- 2. HF-und Funkmessausbildung einen sehr interessanten ausführlichen Bericht über das Ausbildungslager der Luftwaffe auf dem Stegskopf im Westerwald, das sehr viele Parallelen zum Ausbildungslager „Tegetthoff“ besitzt. Es wurde nur einmal „Tegetthoff“ erwähnt, weil angeblich eine Einheit von 1/3 der Lehrgangsteilnehmer zur Marine ausgegliedert wurde, die den Namen „Tegetthoff“ erhielt. Diese Einheit stand nie in Verbindung mit dem RAL Gmunden. Ihr Verbleib ist unbekannt. Sie ist vermutlich nur organisatorisch ohne Ortswechsel ausgegliedert worden.
Als ehemaliger RAL-Teilnehmer kann ich über das RAL aus meiner Erinnerung berichten.
Nach dem Schock der technischen Überlegenheit der Feindmächte mit der Radartechnik, die zu hohen Verlusten an U-Booten und Problemen bei den Luftangriffen führte, wurde von der höchsten Wehrmachtsleitung beschlossen, mit Priorität eine Einheit aus geeigneten Jugendlichen mit Interesse an Physik und Funktechnik zu bilden. Diese sollten durch eine spezielle Ausbildung gefördert werden, um ihre Kreativität und Innovation zu wecken und mit ihrem Enthusiasmus den Vorsprung der Feindmächte nicht nur einzuholen, sondern auch zu überholen und technisch überlegen zu werden.
In allen Schulen des Großdeutschen Reiches wurde mit Formularen eine Umfrage gestartet, um die gewünschten Interessenten zu finden. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die späteren Lehrgangsteilnehmer aus Schleswig-Holstein, von Helgoland, aus dem Ruhrgebiet, Hessen, Österreich, d.h. aus dem gesamten Großdeutschen Reich kamen.
Folgende Aufgaben mussten schriftlich beantwortet werden:
Wegen der Kälte im Januar war es in den hohen Zimmern des Schlosses eisig kalt. Es gab keine Heizung, sondern nur einen eisernen Ofen, aber kein Heizmaterial. Die Holzbetten besaßen Strohsäcke und es gab nur eine Wolldecke. Außerdem war die Verpflegung unzureichend.
Als ich deswegen auf die Teilnahme am Lehrgang verzichten wollte und beim Lehrgangsleiter mit der Begründung vorstellig wurde, dass ich bereits meine Annahmebescheinigung als Ing.-Offiziers-Bewerber bei der Luftwaffe besäße, war seine Antwort, „dass wir gerne wissen möchten, wes Geistes Kind sie sind.“. Leider hatte ich den Fehler gemacht, mich im Gegensatz zu den etwas Schlaueren, die nicht bleiben wollten, zu sehr anzustrengen und hatte zu gut bei den Tests abgeschnitten. Angeblich lag ich nach den Aussagen eines Funkobermaates an zweiter Stelle und musste bleiben.
Der Lehrgang startete am 05.02.1945. Ich konnte nicht dabei sein, denn ich hatte mir eine Mandelentzündung zugezogen und befand mich im Krankenrevier. Das war eines der wenigen Zimmer, das tagsüber durch einen Kanonenofen beheizt wurde. Während der Zeit erhielten die anderen, die zu einem großen Teil in Hitlerjungen-Uniform angereist waren, ihre Marinekleidung, sofern sie, wie ich, nicht schon in Marineblau angereist waren.
Dies war der große Unterschied zum Lager der Luftwaffe. Dort versuchte man, den Zweck des Lagers zu vertuschen. Es wurde wie eines der üblichen HJ-Lager in HJ-Uniform geführt und auch die Lagerleitung und das -Personal traten ebenfalls überwiegend in HJ-Uniform auf.
Als ich das Sanitätszimmer verlassen durfte und mich bei der Kleiderkammer wegen eines Paars Handschuhe meldete, gab es keine mehr. Nach einigen Irritierungen durfte ich schließlich im Freien z.B. beim täglichen Appell die Hände in die Hosentasche stecken; allerdings musste ich in die letzte Reihe wechseln.
Das gesamte Lehrgangspersonal bestand aus Offizieren und Unteroffizieren der Marine. Es waren 4 Offiziere und 9 Unteroffiziere. Sie sorgten für den üblichen Dienstbetrieb.
Für den Schulunterricht am Vormittag waren 5 Lehrer der Gymnasien aus Gmunden eingesetzt. Der Unterricht fand in einer geheizten Baracke statt. Außer den üblichen Fächern wie Deutsch, Mathematik, Latein usw. wurde besonderer Wert auf Physik und die Hochfrequenz gelegt.
Am Nachmittag wurde in der Werkstatt mit sechs Werkstattleuten u.a. an elektrischen Geräten gearbeitet und es wurden viele Versuche und Messreihen gefahren.
Immer mal wieder wurden wir zum Holzsammeln für die Öfen in der Schreibstube und dem Revierzimmer oder andere Arbeiten herangezogen. Später sogar für das Sammeln von Bärlauchblättern für die Mittagssuppe, die mit wenigen Pfund Mehl angerührt wurde.
Es war ein harter spartanischer Lehrgang, so wie er auch im Bericht über den Lehrgang der Luftwaffe beschrieben wurde. Die Ausbilder legten ein schikanöses Verhalten an den Tag, angeblich um aus uns stahlharte Marine-Nachrichten-Offiziere zu machen.
Morgens wurde z.B. Frühsport barfuß nur in Turnhose mit Rolle vorwärts im Schnee usw. betrieben. Als sich deshalb viele krank meldeten, um dem zu entgehen, wurde die Revierstunde, d.h. wo man sich krankmelden konnte, kurzerhand auf nachts um 2.00 Uhr verlegt. Dazu wurde der ganze Lehrgang geweckt. Es gab fortan kaum noch Kranke.
Der Tag begann morgens um 6.00 Uhr und endete oft wegen der Stubenkontrolle nicht vor 24.00 Uhr. Dabei wurde eine übertriebene Pingeligkeit an den Tag gelegt, was häufig mit einem Ausgangsverbot geahndet wurde. Dabei stand selten genug ein Ausgang im Plan. Außerdem wurde er den meisten bei der vorhergehenden Überprüfung wegen Mängeln an der Kleidung, fehlendem oder unsauberem Taschentuch, mangelhaftem Kamm usw. gestrichen. Ohnehin mussten wir als Marinehelfer den anderen bei dem Erstellen des Halstuchs mit dem komplizierten Knoten und der Schleife über dem Knoten, das wir mühsam gelernt hatten, helfen. Einer bot mir eine Scheibe Brot an, wenn ich ihm die Schleife binden würde.
Das Schloss haben wir statt im weißen Drillich nur in blauer sozusagen Ausgangsuniform bei besonderen Anlässen, Veranstaltungen usw. oder bei notwendigen Terminen z.B. beim Zahnarzt verlassen.
Als eines Tages ein Friseur erschien, um allen Lehrgangsteilnehmern einen Kurzhaarschnitt zu verpassen, hat er einen im Krankenrevier vergessen. Beim nächsten Appell wurde ihm eine harte Strafe angedroht, falls er beim nächsten Mal immer noch mit seinem langen Haarputz erscheinen würde. Auf inständiges Bitten habe ich ihm die Haare geschnitten. Die Haare waren kurz, aber er sah grausam aus.
Da es nur Holzbetten mit Strohsäcken und einer Wolldecke gab, war wegen der Kälte nicht an eine erholsame Nacht zu denken. Folglich kam es oft vor, dass jemandem im Unterricht der Kopf auf die Tischplatte fiel und er einschlief. Dazu hat die ungewohnte Wärme im Unterrichtszimmer erheblich beigetragen. Man muss es den Lehrern, die den strengen Dienst mitbekamen, hoch anrechnen, dass sie das einfach übersahen.
Erschwerend kam hinzu, dass die Verpflegung ständig schlechter wurde. Bald schon gab es kein Frühstück mehr. Es konnte morgens nur Tee geholt werden. Für das Mittagessen gingen die Kartoffeln aus und es gab nur eine dünne Suppe. Abends gab es zwei Scheiben Brot mit Butter, Wurst oder Käse. Da die geringen Mengen bei der Ausgabe nicht lohnten, das Küchenpersonal zu beschäftigen, wurde am Samstagabend die Portion gleich für Sonntagabend mit ausgegeben mit der Folge, dass sie von den meisten gleich mit verzehrt und es damit von Sonntagmittag bis Montagmittag kein Essen gab.
Die harte Gangart, die Umgangsformen und die mangelhafte Ernährung hatten Folgen. Drei Lehrgangsteilnehmer flohen. Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Sofort wurde angeordnet, dass das gesamte persönliche Hab und Gut bis auf eine Garnitur Unterwäsche und ein Paar Strümpfe abzugeben war. Es wurde in den Koffern und Taschen verpackt und wurde in einem abschließbaren Raum untergebracht.
Als drei weitere Lehrgangsteilnehmer geflüchtet sind, mussten wir am Abend antreten und marschierten in den großen Aufenthaltsraum. Der Aufsicht habende Leutnant, der als einer der humansten unter den Führern galt, kam mit dem Motorrad und drehte unter zunehmender Begeisterung zunächst selber einige Runden in dem engen Raum. Dann durften einige von den Jungen ihm nacheifern.
In der Zwischenzeit hat das gesamte Führungspersonal auf der Suche nach persönlichen Sachen sämtliche Schlafräume auf den Kopf gestellt, die Schränke umgekippt, die Strohsäcke aufgerissen usw. Wie sich nachher herausstellte, hatten die beiden geflohenen Lehrgangsteilnehmer, die an der Unterbringung der Habseligkeiten beteiligt waren, Ihre eigenen Koffer versteckt und sind in der darauf folgenden Nacht geflüchtet.
Es war Mitternacht, bis wir in die Schlafräume zurückkehren durften. Wir waren entsetzt über das Chaos. Selbstverständlich wurde erwartet, dass wir das Zimmer aufräumen, so dass wir bis zur Revierstunde um 2.00 Uhr noch auf den Beinen waren.
Unabhängig davon begann der Tag am nächsten Morgen um 6.00 Uhr. Gemeinsam mussten wir im Gemeinschaftsraum die Radioansprachen von Goebbels, Göring, Dönitz und Hitler anhören.
An Freizeit war nicht zu denken. Aber es gab einige Lichtblicke. Nachdem wir beim Stubenwettbewerb an der Spitze lagen, durften wir aus unserer Stube einen Tag zum Skilaufen nach Bad Aussee fahren.
Im Hinblick darauf, dass sich die Front immer mehr näherte, wurde ein Auflösen des Lehrgangs oder eine Verlegung z.B. zu dem uns bekannten Lehrgang der Luftwaffe im Westerwald ins Auge gefasst. Um auf einen längeren Fußmarsch vorbereitet zu sein, wurde eines Tages ein Fußmarsch geplant. Feldmarschmäßig mit dem Karabiner und Gepäck marschierten wir mit zeitweiligen Schießübungen ca. 55 km über Stock und Stein, mit teilweise enormen steilen Höhenunterschieden, bei denen sich einige bei Abstürzen verletzten. Von ca. 120 Mann kamen wir nur zu zehnt wieder im Schloss an. Alle anderen blieben erschöpft zurück, setzten sich irgendwo nieder und kamen erst im Laufe des nächsten Tages an.
Uns Angekommenen blieb nach dieser Anstrengung der Dienst als Backschafter, d.h. als Bedienung für die Offiziere beim späten Abendessen, nicht erspart, wenn auch einer von uns sich nur unter Tränen wegen seiner Blasen an den Füßen und den damit verbundenen Schmerzen bewegen konnte. Weil die Küche wegen des späten Abends inzwischen geschlossen hatte, blieben wir ohne Abendessen. Unser Freund Eberhard aus Schleswig-Holstein wollte das nicht wahrhaben. Er ging zur Küche und kam jubelnd wieder zurück, denn man hatte ihm auf die Frage nach dem Abendessen geantwortet: „ `n Schmarrn könnt´s haben“. Er hatte das als Kaiserschmarren missdeutet, denn natürlich beherrschte er als Norddeutscher nicht die landessprachlichen Ausdrücke.
Am 30.03.1945 haben wir auf dem Feuerkogel eine Funkstation eingerichtet. Dazu wurde unter schwierigsten Bedingungen ein schwerer Funkwagen, der unter der Gondel der Seilbahn aufgehängt wurde, gegen den Rat des Ingenieurs auf den Feuerkogel bei Ebensee gebracht. Wir wohnten in der Feuerkogelhütte und durften zur Belohnung für harte Arbeit 3 Tage Ski fahren.
Am 19.04.1945 wurde das RAL offiziell aufgelöst und in „Führungs-Nachrichten-Kompanie Tegetthoff NaZ Süd“ und wir in Funker umbenannt. Damit wurde bestätigt, dass Gmunden die Nachrichtenzentrale der Partei Süd war.
Hier kamen Nachrichten aus Berlin für z.B. führende Persönlichkeiten auf dem Obersalzberg an. Darunter waren Nachrichten von Hitler über die Absetzung von Göring oder dass sich der Gauleiter von Österreich, Reichsleiter Baldur von Schirach, der sich in Wien abgesetzt hatte, als Leutnant der Fronttruppe zur Verfügung zu stellen habe. Der Lehrgangsleiter Dr. Schmitthenner, der dem Hörensagen nach einst Spion in Südamerika gewesen sein soll, pflegte diese brisanten Nachrichten mit dem Motorrad z.B. nach Obersalzberg zu überbringen. Wenn es eilig war, fuhr er schon mal mit dem Motorrad die Treppe im Schloss hinauf.
Wenige Tage nach der Nachricht an Baldur von Schirach erschien er am 20.04.1945 mit mehreren Lastwagen voller Verpflegung, die von SS-Männern als Wachpersonal begleitet waren und quartierte sich im Schloss ein. Ich sah, wie seine Ordonanz ihm ein üppiges Frühstück auf dem Tablett servierte. Da gab es Kommißbrot, Butter, Marmelade, Schinken, Wurst, Käse usw. Erstaunlicherweise bekamen wir nach der Umbenennung des RAL Wehrmachtsverpflegung und konnten uns erstmalig satt essen. Dennoch erwachte in uns der Wunsch, in die im Schlosspark geparkten Lastwagen einzubrechen, während wir nachts im Park Wache schieben mussten. Daraus wurde nichts, denn die Gefahr, von den SS-Wachleuten erschossen zu werden, war zu groß.
Einen Tag später wurden 30 Mann zum Nachrichtenzug Oberdonau abgeordnet. Am 01.05.1945 wurden wir abends um 22.00 Uhr geweckt und aufgefordert, uns unverzüglich für eine Abreise fertig zu machen. Wir erhielten unsere Papiere, darunter ein Schulabschlusszeugnis und eine Vorsemesterbescheinigung.
Es stellte sich heraus, dass das Panzergrenadierregiment „Großdeutschland“ dringend Ersatz brauchte, da es durch Feindeinsatz dezimiert worden war. Es wurde ein Funktrupp gebraucht. Als man erfuhr, dass sich in Gmunden geeignete Leute aufhielten, wurde die Überstellung beschlossen.
Wenig später um 1.30 Uhr mussten wir feldmarschmäßig mit Stahlhelm, Gasmaske und Gepäck mit 20 Mann und umfangreichem Nachrichtenmaterial wie einem Sender auf einem Mannschaftswagen für 12 Personen Platz nehmen. Wir lagen aus Platzmangel praktisch übereinander. In einer rasanten Nachtfahrt rasten wir dem Regiment hinterher und erreichten es am nächsten Morgen in Kirchberg. Dort wurden wir dem Funktrupp des Regimentsstabs als Panzergrenadiere zugeordnet.
Nach der Kapitulation gingen wir in Brixen im Thale in Gefangenschaft. Am 23.05.1945 erfolgte die Verlegung nach Poing bei München und am 15.06.1945 kam ich ins Entlassungslager.
Nach einer abenteuerlichen Odyssee von Bayern nach Norddeutschland traf ich am 21.06.1945 in meiner Heimat ein.