Hans Ulrich Hanitsch

Ein kurzes bewegtes Leben zwischen der Weimarer Republik und Kaltem Krieg.

Ein junges Leben zwischen Kriegsmüdigkeit und Abenteuerlust.

Ein Projekt des Gebrüder-Montgolfier-Gymnasium in Berlin Treptow-Köpenick
Vivien Baumert
Clea de Vries
Lara Scholz

Begleitende Lehrerin
Claudia Wolff

AG Zeitzeugen im Förderverein Lokale Agenda 21 Treptow-Köpenick e.V.
Heinz-Jürgen Baumann


Druck
print and press service Digitaldruckerei
Baumschulenstr. 77
12437 Berlin-Baumschulenweg



Danksagung

Für dieses Projekt haben uns viele Menschen unterstützt. In der kurzen Zeit konnten nicht alle möglichen Quellen erreicht werden. Sollten wir Fehler gemacht haben, so bitten wir nicht nur um Nachsicht, sondern freuen uns auch über weiterreichende Informationen und Verbesserungen. Weiterhin sind wir auch an neue Fakten interessiert, die hier noch nicht eingeflossen sind. Wenden Sie sich bitte an die AG Zeitzeugen, die hier in der Broschüre aufgeführt ist.

Einen besonderen Dank gelten den hier aufgeführten Institutionen und Personen.

Bezirksamt Treptow-Köpenick von Berlin
Bundesarchiv Freiburg (Militärarchiv)
Deutsche Dienstelle Abt. Kriegsmarine
Landesarchiv Berlin

Deutsches Rotes Kreuz, Generalsekretariat Suchdienst

Kirchlicher Suchdienst, Suchdienst der kirchlichen Wohlfahrtsverbände

Heimatverein Audorf

FTU Freundeskreis Traditionsarchiv Unterseeboote e.V.

Stadt Laufen
Stadt Wien
Stadt Aachen
Stadt Rendsburg
Stadt Bochum
Stadt Rhauderfehn
Stadt Markt Essenbach
Stadt Unterschleißheim

Personen

Jürgen Keil
Axel Katins
Heinz Ludwig
Axel Niestlè
Ulf Richter
Dr. Günter Brödemann


Vorwort

Wir haben das Jahr 2015 und blicken zurück auf 70 Jahre Befreiung. Für die Menschen in den neuen Bundesländern war der 8.Mai immer ein Tag der Befreiung. Für die Menschen in den alten Bundesländern war der 8.Mai immer der Tag, an dem der 2.Weltkrieg endete. Die Schuldfrage und eine Klärung des „Warums“ wurden verdrängt und der wachsende, wirtschaftliche Wohlstand verdrängte nicht nur die Schuldfrage, sondern er führte noch dazu, dass Bürger der Kriegsgeneration versuchten, die Schuld auf andere abzuwälzen. Erst als der damalige Bundespräsident Weizäcker sprach es bei seiner Rede zum 8.Mai aus.

„Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Niemand wird um diese Befreiung willen vergessen, welche schweren Leiden für viele Menschen mit dem 8. Mai erst begannen und danach folgten. Aber wir dürfen nicht im Ende des Krieges die Ursache für Flucht, Vertreibung und Unfreiheit sehen. Sie liegt vielmehr in seinem Anfang und im Beginn jener Gewaltherrschaft, die zum Krieg führte. Wir dürfen den 8. Mai 1945 nicht vom 30. Januar 1933 trennen. Wir haben wahrlich keinen Grund, uns am heutigen Tag an Siegesfesten zu beteiligen. Aber wir haben allen Grund, den 8. Mai 1945 als das Ende eines Irrweges deutscher Geschichte zu erkennen, dass den Keim der Hoffnung auf eine bessere Zukunft barg. Der 8. Mai ist ein Tag der Erinnerung.“

Der Krieg verändert den Menschen. Wir haben uns für dieses Projekt ein Einzelschicksal herausgesucht, um die Gedanken und das Verhalten der beteiligten Menschen besser zu verstehen. Dies wird aus der jeweiligen Sicht immer unterschiedlich sein, aber wir erkennen, dass der Krieg den Menschen verändert und er für wenig bereit ist, dass Höchste, was wir besitzen, zu opfern. Das eigene Leben oder das Leben andere ist nichts mehr wert und wird offensichtlich für andere Ziele eingesetzt. Ähnliche Muster sehen wir auch heute und es wird uns immer unheimlich bleiben, zu welchen Taten wir Menschen fähig sind.

Wir haben uns mit einem ehemaligen Bürger aus unseren Bezirk Berlin Treptow-Köpenick ausgesucht. Er hatte in den letzten Kriegstagen als Kommandant von U 428 versucht aktive Kriegshandlungen zu unterlassen und wurde u.a. deshalb von einigen Besatzungsmitgliedern zum „Tode verurteilt“. Er sollte mit einigen Offizieren und Unteroffizieren des Bootes erschossen werden.

Am Anfang gingen unsere Gedanken in die Richtung, dass wir es mit einem Fall des passiven Widerstands zu tun haben. Einige Soldaten sehnten der Befreiung entgegen und bereiteten den neuen Lebensabschnitt in neuen demokratischen Strukturen vor. Aber je mehr wir an immer weitere Informationen kamen, überfiel uns die Schwierigkeit dem Projekt einen roten Faden zu geben. Zu komplex erschienen uns die beteiligten Personen. Zu unterschiedlich waren die Motive, die Handlungen erklären sollten. Passiver Widerstand, Abenteuerlust, Neid, Hass oder Besitz waren verantwortlich. Schnell sind wir dann darauf gestoßen, dass der Mensch oft von niedrigen Impulsen gesteuert wird und sein Tun und Handeln damit rechtfertigt. Wir erkennen ein Zusammenhang zwischen den politischen Zielen und dem persönlichen Handeln. Beide scheinen nur zusammen zu funktionieren. Hier kann nur der Ansatz liegen, eine friedliche Welt zu schaffen. Es ist mühsam, muss täglich praktiziert werden und ist immer aktuell. Schließlich hatten wir es im vorliegenden Fall auch noch mit einem fragwürdigen Gericht (auch aus Sicht der damaligen NS-Diktatur). Jeder Leser soll sich somit ein eigenes Bild bilden.

Als diese Zeilen geschrieben wurden, waren wieder Kriege auf dieser Welt. Tausende Menschen flüchten vor diesen Krieg auch in unser Land und irgendwie beschleicht uns das Gefühl, dass die Aufarbeitung einer persönlichen Geschichte auch heute so passieren könnte.

Schließlich haben wir uns darauf geeinigt, dass wir den Lebenslauf von Hans Ulrich Hanitsch hier abarbeiten. Einzelne entscheidende Passagen werden dann immer in den Anmerkungen ausführlicher dokumentiert.

Der ursprüngliche Titel „Kriegsmüde“ bezieht sich so mehr auf uns, die sich täglich mit dem Thema auseinandersetzen müssen, da die heutige Medienwelt ein Entkommen nicht zulässt. Diese Gedanken haben uns wohl auch täglich beeinflusst.



Lebenslauf

Hanitsch wurde am 12.08.1922 in Berlin, genauer hier in Treptow-Köpenick, geboren. Ebenso wie seine drei älteren Schwestern Christfriede (1915), Ursula (1918) und Brigitte (1920). Allesamt Kinder von Erich- und Christel (geboren Gummig) Hanitsch. Erich Hanitsch war Schulleiter in Berlin (eine Anfrage an das Stadtarchiv, um welche Schule es sich handeln könnte, wurde nicht beantwortet). Während der Jahre 1922 bis 1929 wurde Erich Hanitsch nach Tilsit versetzt. Er war dort Schulleiter mit den Fächern Englisch, Französisch und Sport am Königin-Luise-Lyzeum in Tilsit. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurden Schulleiter ihres Postens enthoben, wenn sie die nationalsozialistische Idee nicht unterstützten. Der Nachweis fehlte hier. Wir gingen davon aus, dass dies für Erich Hanitsch auch zutraf. Aber die im Interview mit Jürgen Keil vorgebrachten Hinweise sprechen dafür, dass dies die Beweggründe der Versetzung waren.

Hans-Ulrich Hanitsch besuchte ebenfalls die Schule, die sein Vater leitete. Hier zeigte er schon besondere Fertigkeiten im Sprach- und Sportunterricht.

Die neue Schuleiterstelle war dann in Königsberg. Die Wohnadresse der Familie in Königsberg lautete damals Nachtigallensteig 12. Nicht alle Familienmitglieder zogen nach Königsberg. Wer dann von Tilsit nach Königsberg (und umgekehrt) die Familienangehörigen besuchen wollte, benötigte einen Passierschein, dessen Bearbeitung ca. 3 Wochen dauerte.

Es wurde viel in der Familie Englisch und Französisch gesprochen. Gerne wurden auch Dinge in diesen Sprachen beredet, um Dritte nicht einzubeziehen. Dies galt vermutlich auch für politische Geschehnisse und Meinungen.

Hans Ulrich Hanitsch wurde dann am 1.12.1939 als Offiziersanwärter Crew XII/39 zur Kriegsmarine (7.SStA in Stralsund) eingezogen.

Die Grundausbildung dauerte bis zum 28.2.1940.

Die praktische Bordausbildung war vom 29.2.1940 bis 31.5.1940 auf dem Segelschulschiff „Albert Leo Schlageter“. Der Segler gehörte zur Gorch-Fock-Klasse und wurde 1937 in Dienst gestellt. Nach dem Krieg wurde das Schiff von den Alliierten beschlagnahmt und war unter dem Namen „Sagres“ bei der portugiesischen Marine im Dienst.

Einen Monat war Hanitsch dann auf den Minenschiff „Tannenberg“. Die „Tannenberg" war zuvor im "Seedienst Ostpreussen" im Auftrag des Reiches durch die HAPAG, von 1935-1939 als Passagier- und Autofähre in der Ostsee im Einsatz.

Vom 26.7.1940 bis 17.12.1940 war Hanitsch Angehöriger der 38. Minensuchflottille. Danach ging es zum Fähnrichslehrgang an der Marineschule Mürwik. Hier wurde er dann Fähnrich und kam zur 22.Unterseebootsflottille nach Gotenhafen (heute Gdynia). Die Flottille wurde auch beim Überfall auf Russland in der Ostsee eingesetzt, obwohl sie eine Ausbildungseinheit (Schulflottille) war.

Die eigentliche Unterbootausbildung begann dann am 30.6.1941 bei der 2.U.L.D (Unterseebootlehrdivision). Ohne Unterbrechung absolvierte Hanitsch die Unterseeausbildung weiter an der Torpedoschule Mürwik, der Schiffsartillerieschule Kiel und der Nachrichtenschule Kiel.




Vom 20.12.1941 bis 22.1.1942 wurde er ohne Bordkommando als Wachoffizier geführt.

Nächste Station war die 7.Kriegsschiffbaulehrabteilung U-Nordsee und hier die Baubelehrung für U 441.

Baubelehrung

Zur Baubelehrung in die Kriegsschiffbaubelehrungsabteilungen wurden die Angehörigen der zukünftigen Bootsbesatzung befohlen, um das entstehende Boot in- und auswendig kennen zu lernen. Zusätzlich wurde damit auch die Gelegenheit eröffnet, dass sich auch die Mitglieder der Besatzung untereinander „beschnüffeln“ konnten und sollten. Während der Baubelehrung waren insbesondere der baldige Leitende Ingenieur und seine Obermaschinisten gefordert, welche die Baufortschritte des Bootes in der Werft überwachten und auch eventuelle kleinere Änderungsvorschläge veranlassen konnten. Die Kriegsschiffbaubelehrungsabteilungen waren für die Unterbringung, die Verpflegung, die Bereitstellung der Unterrichtsräume sowie für die disziplinären Maßnahmen verantwortlich. Die einzelnen Angehörigen der Besatzung trafen zu verschiedenen Zeiten vor dem geplanten Stapellauf in der Bauwerft ein:

• Leitender Ingenieur: 12 Wochen vor dem Stapellauf

• Oberfeldwebel der Laufbahn II (Maschinenpersonal): 12 Wochen

• Unteroffiziere der Laufbahnen II (Maschinenpersonal) und VII T (Torpedomechanikerpersonal): 8 Wochen

• Mannschaften der Laufbahnen II (Maschinenpersonal) und VII T (Torpedomechanikerpersonal): 6 Wochen

• Kommandant, Wachoffiziere: 4 Wochen

• Rest der Mannschaft: 4 Wochen


Quelle: UBoot Archiv Wiki - Baubelehrung


Hans Ulrich Hanitsch war während der der ganzen Ausbildungsphase (21.2.1942 bis 30.9.1942) von U 441 2.Wachoffizier. Hinweise, wann und wo die Bilder entstanden sind, nehmen wir gerne entgegen.

Am 22.2.1942 verstarb sein Vater. Er wurde als Major d.R. einberufen und erkrankte schwer auf seinem Kommando an der Ostfront in einem Reservelazarett in Insterburg.

Am 1.4.1942 wurde Hans Ulrich Hanitsch Leutnant z.S.


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U 441 wird der 1. Unterseeflottille zugewiesen und fährt die ersten Einsätze in der Nordsee. Einsatzhafen ist Kristiansand (Norwegen) und Trondheim (Norwegen).

Im November 1942 läuft das Boot in Brest ein und wird dort technisch überholt.

Am 7.März 1943 wird Hans Ulrich Hanitsch während einer Brückenwache durch schweren Seegang erheblich verletzt. Er bleibt weiterhin an Bord, obwohl das U 441 noch bis zum 11.April 1943 im Einsatz ist. (Quelle KTB von U 441)

Am 25.Mai 1943 läuft U 441 zur nächsten Feindfahrt aus. Es wurde noch im April mit einem zusätzlichen Flakgeschütz ausgerüstet. Am 12.Juli 1943 wurde U 441 von drei britischen Flugzeugen angegriffen. 10 Besatzungsmitglieder von U 441 wurden dabei getötet. 13 weitere Besatzungsmitglieder wurden verletzt. Da es keine einsatzbereiten Offiziere mehr gab, wurde das Boot vom Bordarzt einen Tag später nach Brest zurückgebracht.

Hans Ulrich Hanitsch gehörte auch zu den Verwundeten. Nach einen Monat waren die Verwundungen soweit auskuriert, dass er bei der 1.Unterseeflottille zur Verfügung eingesetzt wurde. Praktisch bedeutet dies, dass Verwaltungsarbeiten zu übernehmen waren.

Im Nachgang zu seinen Feindfahrten auf U 441 gab es gegen ihn noch ein Tatbericht wegen militärischen Ungehorsams aus dem Frühjahr 1943. Die Verletzung von März 1943 wird während der Verhandlung nicht erwähnt und nicht protokolliert.


Das Urteil wird hier dargestellt.


Quelle: BArch RM123/76192

Gericht des Führers der Unterseeboote West
St.L.J. I Nr.102/43

Bord-Urteil

Im Namen des Deutschen Volkes

In der Strafsache gegen den Leutnant z.S. Hans Ulrich Hanitsch

vom Kommando 1.U-Flottille

geb. am 12.8.1922 in Berlin-Treptow

Wegen UNGEHORSAMS

hat ein am 2.Dezember 1943 in Brest
auf Befehl des Gerichtsherrn und Führers der Unterseeboote West
zusammengetretenes Bordkriegsgericht
an dem teilgenommen haben
als Richter: Marinekriegsgerichtsrat Dr. Breinig
als Beisitzer: Kapitänleutnant (Ing) Hering
als Beisitzer: Leutnant z.S. Leopold


als Vertreter der Anklage: Dr. Hiness

als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle: Marinejustizinspektor Bressel

für Recht erkannt:

Der Angeklagte wird wegen fahrlässigen militärischen Ungehorsams im Felde zu 4 Wochen geschärften Kammerarrest verurteilt

Gründe:

In der Hauptverhandlung hat sich auf Grund der eigenen Einlassungen des Angeklagten in Verbindung mit der Aussage des Zeugen Oblt .z. S.(Ing) Meyer, den Angaben des in der Hauptverhandlung informatorisch gehörten Flottillenchefs der 1.Unterseeflottille Kapitän Winter, sowie der zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemachten Mitteilung des Kriegsmarinearsenals Brest an die 1.Unterseeflottille – Blatt 7d.A. nachfolgender Sachverhalt ergeben.

Im Frühjahr des Jahres 1943 war der Angeklagte auf einem U-Boot als 2.WO eingesetzt. Als solcher war er auch Schriftoffizier. Ihm oblag neben der Verwaltung der Verschlusssachen auch deren terminmässige Vernichtung. Ende März waren Funkschlüsselmittel zu vernichten, u.a. auch die in der Hauptverhandlung vorgelegte Schlüsseltafel „TRITON“ – Prüf.-Nr.14 – für die äußere Einstellung. Als Zeuge für die Vernichtungsverhandlung war der Oblt. (Ing) Meyer zugezogen. Der Angeklagte ging in der Art vor, dass er die vernichteten Schriftstücke in sein Notizbuch eintrug und die vernichteten Schriftstücke abhakte. Hierbei hakte er vielfach schon ab, bevor die Vernichtung selbst durchgeführt war. So wurde er nach Abhaken des vorerwähnten Schlüsselmittels vom Alarm überrascht. Er legte, weil er nunmehr an seine Alarmstation stürzen wollte, alle Vorgänge zunächst auf seine Koje. Nach Beendigung des Alarmtauchens, etwa nach 1 ½ Stunden, nahm er die Vernichtungstätigkeit wieder auf. Bei Aufnahme der Schriftstücke aus der Koje prüfte er nicht, ob er alle Schriftstücke wiederaufgenommen hatte. So übersah er, dass die jetzt in der Hauptverhandlung vorgelegte Schlüsseltafel vom März 1943 nicht vorgelegt wurde, weil sie wegen der verschiedenen inzwischen aufgetretenen Schräglagen des Bootes zwischen die Matratzen gerutscht war. In der nach Abschluss der Reise von ihm und Oblt. Meyer aufgenommenen Vernichtungsverhandlung, die ebenfalls in der Hauptverhandlung vorlag und den von dem Angeklagten und dem Zeugen als von ihnen stammend erkannt wurde, wurden dann nach den Aufzeichnungen im Notizbuch alle Verschlußsachen, so auch das hier fragliche Schlüsselmittel, als vernichtet gemeldet.

Nach Mitteilung des Kriegsmarinearsenals in Brest wurde die Schlüsseltafel dann jedoch am 28.10.1943 in der Polsterwerkstatt von einem Franzosen wiedergefunden, nachdem die Schlüsseltafel offenbar mit den in die Polsterwerkstatt geschafften Matratzen kurz vorher dorthin gelangt war. Der französische Arbeiter gab, ohne offenbar erkannt zu haben, um was es sich handelte, das Papier dem Werkmeister, der es bei dem Kommando des Kriegsmarinearsenals abgab, von wo es zur 1.Uflt. zurückgelangte.

Ob die Schlüsseltafel „TRITON“ [2] inzwischen dem feindlichen Nachrichtendienst [3] zugänglich gemacht war, ist nicht zu ermitteln. Es steht auch nicht fest, wie lange der französische Polsterarbeiter die Tafel in der Hand gehabt hat. Nach Ansicht des Kriegsmarinearsenals handelt es sich bei dem Franzosen jedoch um einen zuverlässigen Mann, der die Tafel sofort abgegeben hat.

Da die Tafel als solche seit März nicht mehr gilt, hat sie einen unmittelbaren Wert für die Entschlüsselung jetzt aufgegebener Funksprüche nicht mehr. Sie kann jedoch in gewisser Weise geeignet sein, Anhalte für das System des deutschen Nachrichtenwesens dem Gegner zu geben.

In rechtlicher Hinsicht hat der Angeklagte durch sein Verhalten schuldhaft einen Befehl in Dienstsachen nicht befolgt. Nach dem ständigen Kriegsbefehlen des B.D.U. – Op.- (N.B. U-Boote Nr.251 Abschnitt B f. waren von der Schlüsseltafel spätestens 4 Tage nach Ablauf der Geltungsdauer die Zahlen der Steckerverbindung für die betreffenden Tage abzuschneiden und zu vernichten. Diesen Befehl hat der Angeklagte durch sein Verhalten nicht befolgt. Er hat auch schuldhaft gehandelt insofern als er, entgegen der Bestimmungen über die Verschlußsachen, die Vernichtung gemeldet hat,ohne sich von der Vernichtung überzeugt zu haben. Er hat vielmehr in seinem Notizbuch diese Tafel als vernichtet ausgetragen, obgleich eine Vernichtung bisher nicht erfolgt war. Er ist insofern nicht mit der erforderlichen Sorgfalt vorgegangen, als er bei der damaligen Fahrt durch die Biskaya mit jederzeitigem Alarm rechnen und daher auch voraussehen konnte, dass er denn die Vernichtungshandlung unterbrechen musste. Er hat daher fahrlässig gehandelt, umso mehr, als er bei der von ihm gewählten Kontrolle der Vernichtung bei Wiederaufnahme der vorgelegten Verschlusssachen mit mehr als der angewandten Sorgfalt prüfen musste, ob nunmehr auch tatsächlich alle Verschlusssachen der Vernichtung zugeführt wurden.

Durch das Verhalten des Angeklagten ist eine Gefahr für die Sicherheit des Reiches und die Schlagkraft der Truppe herbeigeführt worden. Schlüsselmittel gehören zu den wichtigsten Dingen der Gruppenführung und bedürfen eines ganz besonderen Geheimhaltungsschutzes. Schlüsselmittel in unbefugten Händen können das ganze Nachrichten System zerreißen und erhebliche Umorganisationen erforderlich machen. Selbst dann, wenn, wie wahrscheinlich im vorliegenden Fall, Schlüsselmittel erst nach längerer Zeit ihrer Ausserkrafttretens in fremde Hände gelangen, können solche Tafeln wie die den hiesigen Fall berührende dem Gegner Einblick in das System des Schlüsselwesens geben. Eine Gefahr im vorbezeichneten Sinn besteht daher in jedem Fall, in dem Schlüsselmittel ohne Kontrolle herumliegen. Es ist somit festzustellen, dass der Angeklagte fahrlässig einen Befehl in Dienstsachen nicht befolgt hat und damit schuldhaft eine Gefahr für die Sicherheit des Reichs und die Schlagfertigkeit der Truppe herbeigeführt hat. Der Angeklagte ist daher gemäß § 92 MStGB [4]. zu verurteilen.

Bei der Strafzumessung musste die Gefährlichkeit des Verlustes von Schlüsselmitteln in Rechnung gestellt werden. Auch musste ihre Bedeutung durch eine empfindliche Strafe unterstrichen werden. Wenn das Gericht glaubte, trotzdem auf eine geschärfte Arreststrafe erkennen zu können, so mit Rücksicht darauf, dass offenbar tatsächlich Nachteile nicht entstanden sind. Auch konnte zu Gunsten des Angeklagten weitgehend berücksichtigt werden, dass der Angeklagte sich als Soldat besonders einsatzbereit gezeigt hatte. Dagegen konnte die Strafe nicht allzu milde ausfallen, da der Angeklagte sich, was sich insbesondere aus der Letzten seiner Disziplinarstrafen und seinem Führungszeugnis ergibt, im allgemeinen Dienstbetrieb nicht immer von ausreichend gefestigter Dienstauffassung gezeigt und auch nicht, wie im vorliegenden Fall, die erforderliche Sorgfalt in der Befolgung von Befehlen bewiesen hat. Es musste daher eine mehrwöchige geschärfte Arreststrafe [5] festgesetzt werden, die mit 4 Wochen geschärften Kammerarrest angemessen bemessen erschien.

4.12.1943 Breinig
[2] Enigma Maschine

[3] Hierzu im späteren Verlauf noch eine Anmerkung der Schülergruppe.

[4] §. 92. Ungehorsam gegen einen Befehl in Dienstsachen durch Nichtbefolgung oder durch eigenmächtige Abänderung oder Überschreitung desselben wird mit Arrest bestraft.

[5] Für den gelinden und geschärften Arrest sieht § 24 der Militärstrafgesetzgebung Einzelhaft vor. Harte Lagerstätte und Wasser und Brot als Nahrung machen die Schärfung bei letzterem aus.

Quelle: Militärstrafrecht von Eberhardt Schmidt (Springer-Verlag)


Zusätzlich wird hier noch das erwähnte Führungszeugnis vom 17.9.1943 aufgeführt.

Quelle: BArch RM123/76192

A b s c h r i f t !
Der planmäßigen Beurteilung zum 25.9.1943 über den Leutnant zur See

H A N I T S C H (Hans Ulrich) II.WO. “U 441” zurzeit zur Vfg. 1.Uflt

a.) Als II.WO. auf einem Flak U-Boot, als Art., Schrift- und F.T.- Offizier hat sich H. während zweier Feindfahrten unter meiner Führung bewährt. Bei der Abwehr von Fliegerangriffen bewies er Tapferkeit und Umsicht, er wurde dabei verwundet.
Im Borddienst zeigt er Schwung, Frische und schnelle Auffassungsgabe. H. besitzt gutes seemännisches Verständnis und ist als W.O. zuverlässig.
H. neigt jedoch zum Leichtsinn, bewies nicht immer das notwendige Verantwortungsgefühl in der Ausübung seiner übrigen Dienstverrichtungen und bewies besonders im Hafenbetrieb eine wenig gefestigte Dienstauffassung.
Vor der Front ist er sicher. Er hat seine Männer fest in der Hand, jedoch muss er sich noch mehr um sie kümmern. Charakterlich ist Hanitsch noch recht unreif, oberflächlich und unausgeglichen. Entsprechend seiner vorzüglichen geistig- und körperlichen Veranlagung könnte er bedeutend mehr leisten.
Belehrungen gegenüber
b.) Starke Seiten: Gutes seemännisches Gefühl, Umsicht, Einsatzbereitschaft.
c.) Schwache Seiten: Charakterliche Unreife, Unzuverlässigkeit im täglichen Dienst.
d.) Begabung: Geistig und körperlich überdurchschnittlich veranlagt, vielseitig interessiert jedoch charakterlich noch sehr unreif. Zum I.W.O. auf U-Booten und Zugoffizier geeignet.

Im Westen, den 17.September 1943
gez. von Hartmann

Kapitänleutnant und

Kommandant „U 441“


Einverstanden!

gez. Winter

Korvettenkapitän und Chef
der. 1.Unterseeflottille



Die Strafe wurde vom 28.1.1944 bis 24.2.1944 im Wehrmachtsgefängnis Fresnes verbüßt.

Anmerkung des Kreiswehrmachtsgefängnis Paris durch den Kommandanten

Quelle: BArch RM123/76192

Ferner wird gebeten, Urteil und Bestätigungsverfügung, die dem Einstellschein nicht beigegeben waren, umgehend zu übersenden. Aus dem Einstellschein ist das Gericht nicht deutlich (F.D.U.-West) und ein Aktenzeichen nicht vermerkt. Der Eingelieferte war außerdem nicht im Besitz einer Vergleichsmitteilung oder Verpflegungskarte. Es wird gebeten, dafür Sorge zu tragen, dass den Einzuliefernden künftig diese Papiere vollständig mitgegeben werden. Andernfalls müsste die Aufnahme verweigert werden. Im Übrigen empfiehlt es sich dringend, Einlieferungen für geschärften Stubenarrest rechtzeitig vorher fernmündlich anzumelden, da hier nur eine begrenzte Anzahl Stuben vorhanden ist, die meist sämtlich besetzt sind.

gez. Kemper Major und Kommandant


Es folgte die am 1.3.1944 die Kommandierung (Lehrgang) zu 3.Unterseeboot-Lehrdivision und am 16.3.1944 zur 23.Unterseebootflottille. Hier wurde der Kommandantenschießlehrgang durchgeführt.

Am 2.5 1944 wurde Hanitsch Kommandant von U 428. U 428 gehörte der 23.Uflt. an und wurde dort als Schulboot eingesetzt (Schießausbildung für Kommandanten).

Am 1.3.1945 erfolgte die Verlegung von U 428 nach Hamburg zur 31.Uflt. U 428 wurde hier als Stromerzeugerboot eingesetzt.


Am späten Abend des 4.5.1945 hatten 5 Besatzungsmitglieder von U 428 in einem Wäldchen auf dem Liegeplatz des Bootes sich mit Gewehren, MP’s und Pistolen bewaffnet. Sie wollten mehreren Personen von U 428 auflauern und sie töten. Bei den Tätern handelt es sich um

Ob.Btsmt. Karl S. (1917- 2005)
Masch.Mt. Hermann Schneider (1922 -1981)
Ob.Gfr. Johann S. (1924 - 2009)
Masch.Ob.Gfr. Gerhard K. (1924 - 2005)
Masch.Gfr. Xaver E. (1924 - 1995)

Die Gruppe der Besatzungsmitglieder, die getötet werden sollten.
Oblt. z. S. Hans Ulrich Hanitsch (1922 – 1950)
Lt. z. S. Karl-Heinz Hansen (1922 – 2003)
Oblt. (Ing) Erwin Nau (1923)
Ob.Masch Gerhard Krause (1917 – 1945)
Ob.Masch Harro Thelen (1922)

Soweit die Sterbedaten durch öffentliche Quellen nicht vorlagen, wurden diese Daten bei den verschiedenen Meldeämtern abgefragt.


Dazu eine Zusammenfassung der Schüler

DER ÜBERFALL


Es war der Abend des 4. Mai 1945, als sich in Büdelsdorf fünf Besatzungsmitglieder der U-428 in einem Wald in der Nähe ihres Bootes niederließen. Die Männer waren die Maschinisten Xaver E., Hermann Schneider, Johann S., der Oberbootsmaat Karl S. und der Gefreite Gerhard K.. Sie waren mit Gewehren und Pistolen bewaffnet und warteten auf ihre fünf Kollegen, den Kommandanten Hans Ulrich Hanitsch, die Offiziere Erwin Nau und Karl-Heinz Hansen und die Obermaschinisten Gerhard Krause und Harro Thelen. Aus unbekannten Gründen erschienen jedoch nur Krause und Thelen, mit ihnen war Gertrud Anni Neels, eine Bekannte von Krause, die in Büdelsdorf wohnhaft war. Sie hatten einen voll beladenen Handwagen bei sich, der mit einer Decke zugedeckt war. Als die beiden Gruppen aufeinandertrafen, schossen die Bewaffneten und töteten dabei Krause. Neels starb auf dem Transport zum nahegelegenen Rendsburg. Thelen wurde lediglich durch einen Schlag verletzt und konnte flüchten. Später gaben die Täter an, sie hätten erst geschossen, nachdem sie „Halt!“ gerufen hätten und ein Knacken hörten, von dem sie vermuteten, es komme von einer Waffe, die Einer der Drei bei sich trug.

Jedoch kam schon vorher die Überlegung auf, die genannten Personen zu töten. Einige Tage zuvor war die Kriegsmüdigkeit dieser deutlich zu spüren. Nach Aussagen der Täter solle Kommandant Hanitsch ihren Fronteinsatz sabotiert haben und die weiße Flagge hissen wollen. Die anderen Besatzungsmitglieder, die getötet werden sollten, bekräftigten Hanitsch in seiner Meinung und hätten mit ihm ihr Team im Stich gelassen.

Des Weiteren gab es für die Täter noch einen Grund ihre Kameraden aufzuhalten. Denn vermutlich waren sie auf dem Weg zu Frau Neels, um dort ihren Proviant unterzubringen, worauf der Handwagen Hinweise gab, in dem dieser verstaut war. Zumindest nach der Aussage von S.,“ Man habe die beiden Obermaschinisten kurz zuvor gesehen, wie sie die Lebensmittel aus einem Schuppen dort hinein verluden. “Das Problem dabei war, dass die Annahme bestand, dass der Proviant (darunter z.B. Butter, Honig, Spirituosen, Rauchwaren und Schokolade) nicht gerecht verteilt wurden. Mehrere Male sollen die Portepeeträger dabei stark bevorzugt worden sein. Diese Annahme wurde im Nachhinein von Hanitsch bestätigt. Dass die Profitierenden ihre Errungenschaften nun auch sicher verstauen wollten und womöglich auch gleich für immer an Land bleiben könnten, konnten die Angeklagten nicht auf sich sitzen lassen und durchkreuzten ihren Plan.

Nach der Tat wollten sie Hanitsch, Nau und Hansen ebenfalls umbringen. Das gelang ihnen jedoch nicht und nur kurz darauf gestanden S., Schneider und K., was sie soeben getan hatten. E. und Se. waren dabei nicht anwesend, da sie den Wagen mit den Lebensmitteln zurückbrachten.

Am 13. Mai 1945 wurden S., Schneider, K., Se. und E. zu fünf Jahren Haft und Rangverlust verurteilt. Als Grund für diese vergleichbar milde Strafe wird zum einen genannt, dass nach einer solchen Kriegsverweigerung, wie sie bei Hanitsch vorzuweisen war, die Untergebenen dazu verpflichtet seien, notfalls auch mit Waffengewalt einzugreifen. Zum anderen sollen sie aus verletzten Rechtsgefühl wegen der ungerechten Verteilung des Proviants gehandelt haben und nicht aus Habgier. [6]

[6] Karl S. gab bei seiner Vernehmung die ungerechte Verteilung der Verpflegung als Hauptmotiv für sein Handeln an. Eine Beschwerde bei der Führung der U-Boote sah er als sinnlos an.

Hermann Schneider bestätigte die Angaben und ergänzte noch, dass sie das Gefühl hatten, die beteiligten Offiziere stiften gehen wollten, obwohl ein Landeinsatz geplant war. Der Kommandant und die anderen Offiziere und Unteroffiziere wären schon sehr oft in Zivilkleidung an Bord gekommen.

Xaver E. sagte aus, dass sie verhindern wollten, dass wie 1918 die Offiziere stiften gehen und die Mannschaften im Stich lassen. Außerdem erklärte der Kommandant kurz vorher vor der versammelten Mannschaft, dass die weiße Flagge gehisst wird, wenn der Tommy kommt. Jeder hat bestimmt ein Mädel zu Hause und kann dort unterkommen. Wir wollten aber kämpfen. Xaver E. war in der Frontbewährung. Seine Gefängnisstrafe wurde für die Frontbewährung ausgesetzt.

Johann S. sagte zusätzlich aus, dass der Kommandant, der LI und die Obermaschinisten sich Zivilkleidung beschafft hätten. Der I.WO hatte deshalb Auseinandersetzungen mit dem Kommandanten und wurde deshalb versetzt. (Anmerkung: Johannes Joas wurde wohl zum Landeinsatz kommandiert. Eine offizielle Versetzung ist aber nicht bekannt) Der Kommandant hat bewusst das Seitenruder nicht ersetzt. Das Boot hätte zur Front fahren können. (Anmerkung: Axel Niestlè informierte uns, dass ein Fronteinsatz nicht mehr geplant war.)

Quelle: Vernehmungsprotokolle BArch RM 123/76192


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Der Ablauf wird durch das Urteil gegen die Täter erklärt

Gericht des Führers der U-Boote Ost
AZ.Y. I.14/45

Das Urteil ist mit den Gründen und der richterlichen Unterschrift am 13.5.1945 zu den Akten gebracht worden.

BORDURTEIL
Im Namen des Deutschen Volkes

In der Strafsache gegen
1.) Oberbootsmaat Karl S. (UO 3867/39 S)
2.) Maschinenmaat Hermann Schneider (UNO 6874/41 T)
3.) Maschinenobergefreiter Johann S. (UN 22992/41 T)
4.) Matrosenobergefreiter Gerhard K. (UO 10914/41 KS)
5.) Maschinengefreiter Xaver E. (UO 70949/42),

sämtlich von U 428 wegen tätlichen Angriffs gegen Vorgesetzte im Felde in Tateinheit mit Totschlag und versuchten Totschlag

hat ein am 6.5.1945 in Rendsburg auf Befehl des Gerichtsherrn und Führers der U-Boote Ost zusammengetretenes Bordkriegsgericht, an dem teilgenommen haben

als Richter

1.) Marineoberstabsrichter R O T T E
als Verhandlungsleiter
2.) Korvettenkapitän (Ing.) W E S S E L S
als militärischer Beisitzer
3.) Maschinenmaat K U R Z
als militärischer Beisitzer
als Vertreter der Anklage

Oberstabsrichter Dr. R E I F F

als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

Heeresjustizinspektor M E R T E N

für Recht erkannt:

Die Angeklagten werden in Tateinheit begangenen tätlichen Angriffs gegen Vorgesetzte im Felde in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Totschlag, im zweiten Fall in Tateinheit mit versuchten Totschlag, und eines weiteren Totschlags zu je fünf Jahren Gefängnis und zum Rangverlust verurteilt.

G r ü n d e :

Angeklagt sind:

1.) Der am 28.7.1917 in Wien geborene, durchweg in der Führung mit sehr gut, in der Diensttüchtigkeit mit 6 –ziemlich gut-, zuletzt vom jetzigen Kommandanten mit genügend beurteilte, weder disziplinar noch nach seinen Angaben gerichtlich vorbestrafte Ob.Btsmt. Karl S., der seit dem 1.10. 1939 Soldat, a, 1.1.1942 zum BtsMt. am 1.1.1944 zum Ob.Btsmt. befördert worden ist und K.V.K. II. Klasse mit Schwertern sowie das Minensuchabzeichen trägt,
2.) der am 16.11.1922 in Aachen geborene, durchweg in der Führung mit sehr gut und gut, in der Diensttüchtigkeit unterschiedlich meist gut, einmal nicht hinreichend und zweimal, darunter vom jetzigen Kommandanten genügend beurteilte, gerichtlich nach seinen Angaben nicht, disziplinar zweimal mit 14 Tagen Kasernenarrest und 2 Tagen gelinden Arrest wegen nicht Erweisens einer Ehrenbezeichnung und wegen Verstoßes gegen einen Standortbefehl vorbestrafte Masch.Mt Hermann S c h n e i d e r, der seit dem 12.5.1941 Soldat und am 1.7.1944 zum Masch.Mt befördert worden ist,
3.) der am 7.3.1924 in Möhring bei Laufen (Oberbayern) geborene, in der Führung durchweg gut und genügend, in der Diensttüchtigkeit mit 5 –genügend- und 6 –ziemlich gut- beurteilte, gerichtlich nach seinen Angaben nicht, disziplinar zweimal mit 3 Tagen gelindem Arrest und 5 Tagen gelinden Arrest wegen Ungehorsams vorbestrafte Masch.Ob.Gfr. Johann S., der seit dem 30.11.1941 Soldat und am 1.12.1943 zum Masch.Ob.Gfr. befördert worden ist,
4.) der am 7.3.1924 in Hoppendorf Kreis Pr. Eylau geborene, in der Führung durchweg gut und sehr gut beurteilte, gerichtlich nach seinen Angaben nicht, disziplinar einmal mit 3 Tagen gelinden Arrest, wegen fahrlässiger Urlaubsüberschreitung vorbestrafte Matr.Ob.Gfr. Gerhard K., der seit dem 8.8.1941 Soldat und am 1.7.1943 zum MA.Ob.Gfr. befördert worden ist, und
5.) der am 14.10.1924 in Essenbach, Kreis Landshut geborene, in der Führung gut und genügend, in der Diensttüchtigkeit ziemlich gut beurteilte, gerichtlich einmal wegen militärischen Diebstahls von einem viertel Kilogramm Kaffee zu 3 Monaten Gefängnis, wovon er 6 Wochen als geschärften Arrest verbüßt hat, verurteilte, disziplinar mit 3 Tagen gelinden Arrest wegen Ungehorsams vorbestrafte Masch.Gfr. Xaver E., der seit dem 3.10.1942 Soldat und am 1.7.1943 zum Masch.Gfr. befördert worden ist.

Sämtliche 5 Angeklagten [7] gehören zur Besatzung von U 428 und haben noch nicht an einer U.-Bootsfeindfahrt teilgenommen. Sie sind übereinstimmend glaubhaft geständig, am späten Abend des 4.5.1945 in einem Wäldchen auf dem Liegeplatz des Bootes gegenüberliegenden Kanalufer mit Gewehren, Maschinenpistolen und einer Pistole 08 bewaffnet ihren Offizieren und Port. Unteroffizieren nämlich dem Kommandanten Obl.z.S. H a n i t s c h, dem L.I. Oblt. (Ing) N a u, dem II.W.O. Lt.z.S. H a n s e n, dem Ob.Masch. K r a u s e und dem Ob.Masch. T h e l e n, aufgelauert zu haben, um sie mit einem Feuerüberfall zu töten. Tatsächlich erschienen auch alsbald die beiden Obermaschinisten mit einer Bekannten des Ob.Masch. Krause, Frau Neels, mit einem voll beladenen Handwagen, den sie stadtwärts zogen. In der Dunkelheit glaubten die Angeklagten, alle ihre vorgenannten Vorgesetzten vor sich zu haben und erkannten nicht, dass sich eine Frau unter den herankommenden Personen befand. Nach einem „Halt“-Ruf, auf den sie das Knacken des entsicherns einer Pistole zu hören vermeinten, schossen sie jeder aus den mitgebrachten Waffen mehrere Schuss auf die Menschengruppe vor ihnen in der Absicht, sie zu töten. Sie verletzten dabei den Ob.Masch. Krause und Frau Neels durch Bauchschüsse tödlich. Ob.Masch. Thelen wurde nicht getroffen und erhielt daraufhin vom Angeklagten Schneider mit dem Pistolengriff einen Schlag vor dem Kopf, der ihn unschädlich machen sollte. Anschließend begaben sich die Angeklagten, nachdem sie bemerkt hatten, auf ihr Boot zurück, um dort auch noch die 3 Offiziere zu erschießen. Dazu bot sich aber keine Gelegenheit mehr. Die Angeklagten Ob.Btsmt. S., Masch.Mt Schneider und Matr.Ob.Gfr. K. stellten sich unmittelbar darauf selbst der Feldgendarmerie, wo sie ihre Tat unumwunden meldeten und zugaben. Die Angeklagten S. und E. waren dadurch an der Selbstgestellung gehindert, dass sie befehlsgemäß den Inhalt des von Ob.Masch. mitgeführten Wagens zu ihrem Boot mit zurück zu befördern hatten.

Die Angeklagten haben sich mit ihrer Handlungsweise des gemeinschaftlichen tätlichen Angriffs gegen Vorgesetzte im Felde nach § 97 MStGB, im Fall des Ob.Masch. Krause in Tateinheit mit Totschlag, im Fall des Ob.Masch, Thelen in Tateinheit mit versuchtem Totschlag, sowie gegenüber Frau Neels eines weiteren Totschlags (§ 212 RStGB) schuldig gemacht. Die gegen 3 verschiedene Personen gerichteten Straftaten sind in Tateinheit begangen worden, da der Feuerüberfall als eine Handlung anzusehen ist. Gegenüber den drei Offizieren ist die Tat im Vorbereitungsstadium steckengeblieben, sodass eine gerichtliche Strafbarkeit entfällt. Abgesehen davon würde es sich auch insoweit um einen einheitlichen natürlichen Lebensvorgang handeln, so dass die Verhängung einer besonderen Einsatzstrafe nicht in Frage kommt.

Bei der Strafzumessung musste mit Rücksicht auf die ganz besonderen nicht nur unwiderlegbaren, sondern darüber hinaus sogar glaubhaften Beweggründe zur Tat von dem in der jetzigen Notzeit noch in verstärktem Maße gültigen Grundsatz zu Gunsten der Angeklagten abgewichen werden, dass wer die Hand gegen einen Vorgesetzten erhebt, sein Leben verwirkt hat. Die Angeklagten haben als Gründe für ihre Handlungsweise angegeben, dass sie der Überzeugung gewesen seien, der Kommandant habe den Fronteinsatz ihres Bootes sabotiert und außerdem beim herannahen des Feindes unbeabsichtigt, pflichtwidrig mit den anderen Portepeeträgern des Bootes kampflos das Feld zu räumen und die übrige Mannschaft im Stich zu lassen. Nach einem Führerbefehl seien Untergebene in solchen Fällen sogar verpflichtet, ein derartiges Versagen Vorgesetzter notfalls mit Waffengewalt zu verhindern. Außerdem sei die übrige Besatzung durch die Portepeeträger bei der Zuteilung von Spirituosen und Rauchwaren in eigentlicher Weise aufs Gröbliche benachteiligt worden. Schließlich seien bei der Proviantverteilung ebenfalls die Portepeeträger in unverantwortlicher Weise bevorzugt worden. Der ihnen dabei zu Unrecht zugeflossene Mehrproviant habe am Abend der Tat heimlich in ein Versteck abtransportiert werden sollen. Dies habe nur durch die Bluttat verhindert werden können, denn voraussichtlich wären die Portepeeträger zusammen mit dem erheblichen Überproviant an diesem Abend auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Von einem anderen Weg hätten sich die Angeklagten keinen Erfolg versprochen. An eine Meldung an dem Hafenkapitän hätten sie nicht gedacht und den F.D.U. Ost hätten sie nicht mehr in der Nähe vermutet, nachdem die „Saar“ kurz vorher ausgelaufen war.

Die sehr eingehend durchgeführte Beweisaufnahme hat nach Vernehmung des Kommandanten, Oblt.z.S. Hanitsch, des L.I. Oblt. (Ing) Nau, des II.W.O. Lt.z.S. Hansen, des Ob.Masch. Thelen, des Fk.Mt. Hadaschik, des Fk.Ob.Gfr. an Mey hinsichtlich des Verteidigungsvorbringens der Angeklagten zu folgenden Feststellungen geführt:

Der Kommandant hat zwar alles getan, um sein Boot der Front zuzuführen, insbesondere ist es nur ihm zu verdanken, dass die für eine Reparatur erforderlichen Seitenruder alsbald herangeschafft werden konnten. Auch hat er es beim F.D.U. Ost durchgesetzt, dass sein Boot entgegen der ursprünglichen Absicht Frontboot wurde. Das haben aber die Angeklagten nicht gewusst. Axel Niestlè schrieb uns dazu:

U 428 war einsatzmäßig wegen notwendiger Reparaturen und fehlender Ausbildung bereits am 29.4.45 den Booten der sogenannten „Volksliste III“ zugeordnet worden, für die aufgrund der Kriegslage kein operativer Einsatz mehr vorgesehen war. Stattdessen kam U 428 als Generatorboot in Nobiskrug zur Verwendung und wurde daselbst am 5.5.45 selbstversenkt. Der Großteil der Besatzung war zur örtlichen Verteidigung eingesetzt. Eine „last minute“ Neukommandierung wäre somit wenig sinnvoll. Eine Neukommandierung wegen des geplanten infanteristischen Einsatzes von Teilen der Besatzung kann natürlich nicht ausgeschlossen werden, ist aber zumindest in anderen vergleichbaren Fällen nicht nachgewiesen bzw. als unüblich anzusehen. Im Gegenteil mussten sie aus Äußerungen andere Offiziere entnehmen, dass der Kommandant den Fronteinsatz des Bootes pflichtwidrig verzögere. So hat der inzwischen abkommandierte I.W.O. Lt.z.S. Joas zu Besatzungsmitgliedern geäußert, wenn die Schiffsleitung sich besser darum gekümmert hätte, wären die Seitenruder längst da. Ferner hat der vorübergehend an Bord kommandiert gewesene Kaptlt. Brasack zu Angehörigen von Besatzungsmitgliedern erklärt, er verstehe nicht, dass es der Kommandant in so langer Zeit nicht fertiggebracht habe, die Seitenruder zu beschaffen. Er – Brasack – habe nur ein paar Telefongespräche geführt, und schon seien sie da. Der Kommandant, der sehr viel spricht und eine sehr schnelle Redeweise im vielfach schnodderigen Tonfall hat, ist infolge dieser Mängel offenbar öfter von seiner Besatzung, insbesondere nicht richtig verstanden worden. So hat er kurz vor der Tat bei einer Kommandantenmusterung vom Hissen der weißen Flagge gesprochen. Er hat dies in durchaus vernünftigen Sinne gemeint, nämlich, dass diese Möglichkeit erwogen werden müsse, wenn sie keine Waffen zur Verfügung gestellt bekämen und die Bordwaffenmunition restlos verschossen hätten. Die Angeklagten haben das aber dahin verstanden, dass der Kommandant unbedingt mit dem Übergabegedanken gespielt habe. Bestärkt wurden sie in dieser Ansicht dadurch, dass der Kommandant häufig Zivil trug, dass der Ob.Masch. Thelen eine Bemerkung über Abhauen der Offiziere gemacht hat, dass er ferner geäußert hat, er habe bereits eine Stelle als Autoschlosser in Rendsburg und auch ein Arbeitsbuch, Frau Neels habe genügend Proviant, dort halte er es aus, bis alles vorüber sei, er wolle seine Uniform so abändern, dass er wie ein Zivilmatrose aussehe. Auch war davon die Rede, dass die Portepeeträger sich gemeinsam in einem Keller treffen und von da weiter durchschlagen, also um die übrige Besatzung nicht kümmern wollten. Der Kommandant musste selbst einräumen, dass die Portepeeträger der Besatzung regelmäßig 50 bis 60% aller empfangenen Spirituosen für sich verbraucht und den restlichen 90% der Besatzung nur etwa 40 bis 50% des Alkohols überlassen haben. Es bedarf keiner besonderen Ausführungen, dass ein derartiger Verteilungsschlüssel, welche Vorwände zu seiner Rechtfertigung man auch anführen mag, eine schreiende Ungerechtigkeit darstellt. Die sich auf die Gesinnung der Mannschaften auswirken und auf diejenigen zurückfallen muss, die sie zu verantworten haben. Bei der letzten Proviantverteilung schließlich sind die Portepeeträger in der Weise ganz unverhältnismäßig bevorzugt worden, dass z.B. jeder Portepeeträger einen ganzen Eimer Honig bekam, während von der übrigen Besatzung sich 10 Mann einen Eimer teilen mussten. An Butter erhielt jedes Besatzungsmitglied 3 Kilogramm, während die Portepeeträger je 25 Kilogramm für sich nahmen, wobei es dahingestellt bleiben kann, dass diese erhebliche Buttermehrmenge angeblich ein Geschenk des Verpflegungsamtes an den Ob.Masch. Krause persönlich gewesen ist, denn der Kommandant hat diese Annahme dieses unzulässigen Geschenkes, obwohl er davon wusste, nicht verhindert und die Besatzung sah nur die Tatsache dieser Massenmehrzuteilung. Diese beiden Beispiele ungerechter Verteilung genügen für weitere. Am Abend der Tat wurden diese Proviantmengen eigenartigerweise durch die Portepeeträger persönlich, was für deren schlechtes Gewissen spricht, aus einem Schuppen in einen Kutter verladen, auf das andere Ufer des Kanals gefahren und dort in den Wagen umgeladen, den die beiden Obermaschinisten mit Frau Neels stadtwärts zogen, und mit einer Decke zugedeckt. Die Angeklagten sahen von ihrem Boot aus dieses Treiben und hierbei reifte in ihnen der Entschluss zur Tat, da sie annahmen, dass nunmehr die Portepeeträger mit den großen Proviantmengen verschwinden und sie ihrem Schicksal überlassen würden. Wer den Anstoß zur Tat gegeben hat, ließ sich nicht feststellen. Bezeichnend ist, dass die vernommenen Zeugen aus dem Unteroffizier- und Mannschaftsstand übereinstimmend erklärten, wenn sie von dem Vorhaben gewusst hätten, hätten sie sich sofort daran beteiligt und mitgeschossen. Da die Zeugen von den Angeklagten benannt worden waren, war dem Kommandanten vor der Verhandlung durch den Anklagevertreter anheimgegeben worden, gegebenenfalls weitere Zeugen, von denen er eine andere Einstellung zu den Dingen voraussetzte, zur Hauptverhandlung mitzubringen. Er hat dies eigenartigerweise unterlassen. Dass die Angeklagten geglaubt haben, der F.D.U. sei nicht mehr im Raume Rendsburg anwesend, ist glaubhaft, denn auch der Kommandant war dieser Meinung.

Angesichts dieser erheblichen Versager der Portepeeträger des Bootes, die im Zusammenhang mit den aufgezeigten Missverständnissen die Handlungsweise der Angeklagten, die sich durchweg laufend guter Beurteilungen erfreuen, in einem verhältnismäßig milden Lichte erscheinen lassen, hielt das Gericht unter Zubilligung mildernder Umstände Gefängnisstrafen von je 5 Jahren für schuldangemessen.

Daneben war gemäß § 33 Abs. 1 Ziffer 3 MStGB auf Rangverlust zu erkennen.

Mord nach § 211 RStGB lag nicht vor. Wenn auch die ungerechte Verteilung von Proviant, Spirituosen und Rauchwaren als Beweggrund für die Tat die Hauptrolle gespielt haben mag, so haben doch die Angeklagten insoweit nicht aus Habgier, sondern aus verletzten Rechtsgefühl heraus gehandelt und außerdem sind sie aus Überzeugung des Gerichts nur deshalb zu dieser schweren Tat gekommen, weil sie überzeugt waren, dass im Zusammenhang mit der ungerechten Verteilung ein feiges Abrücken vor dem Feind und im Stich lassen der übrigen Besatzung durch die Portepeeträger bevorstand. Die Tat der Angeklagten war auch nicht heimtückisch, sondern entsprach der üblichen Verwendung von Schusswaffen, zumal da unwiderlegt die Verletzten zunächst einen Halteruf, den allerdings Ob.Masch. Thelen offenbar überhört hat, aufmerksam gemacht worden sind.

Gez. ROTTE 13.5.1945
[7] Karl S. hatte Fronterfahrung auf einen Minensucher. Er hatte den Kriegsverdienstkreuz II Klasse mit Schwertern. Dazu ein Hinweis von Ulf Schröder (Das KVK wurde von Hitler gestiftet, um Leistungen, die nicht unter die Bestimmungen des Eisernen Kreuzes fallen, zu belohnen. Während es bei den EK II heißt:...für besondere Tapferkeit vor dem Feind und für hervorragende Verdienste in der Truppenführung..., heißt es beim KVK 2.Klasse mit Schwertern: für besondere Verdienste beim Einsatz unter feindlicher Waffenwirkung oder für besondere Verdienste in der militärischen Kriegführung.)

Die Zusammenstellung des Gerichtes war fragwürdig. Einer der Beisitzer war Friedrich Wessels. Wessels wurde 1944 zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden und wurde nur durch die Gnade von Admiral Dönitz wegen seiner Verdienste während des Krieges im Stab der FDU Ost als Stabsoffizier kommandiert. Hier eine Zusammenfassung des Urteils gegen Wessels.

Quelle: Lothar Walmrath

"Justitia et disciplina": Strafgerichtsbarkeit in der deutschen Kriegsmarine 1939-1945

und

BArch-ZNS 38504

Zusammenfassung


Wessels war zum Ende des Krieges Stabsoffizier der Kriegsschiffbaulehrabteilung für U-Boote Ost bzw. FDU Ost. Der Stab hatte damals seinen Sitz auf der „SAAR“, die in der Nähe von U 428 lag. Vielleicht war dem Gericht nicht bekannt, dass Wessels kurz nach seiner Ernennung zum KorKpt wegen tätlichen Angriffs und Misshandlung von Untergebenen zu 8 Monaten Gefängnis verurteilt wurde.

Wessels und zwei Begleiter, die bei dem Vorfall nur eine Nebenrolle gespielt hatten, waren angetrunken innerhalb des Ubootstützpunktes Gotenhafen zur Anlegestelle eines Schiffes gegangen. Dort hatten sie gewaltsam die Posten eines Schiffes entwaffnet und den Fallreepsgefreiten misshandelt. Erst nach dem massiven Auftreten war es dem Stützpunktleiter mit einer Streife gelungen, um 2.55 Uhr die Herausgabe der Wachen abgenommenen Gewehre zu erreichen. Insbesondere der Haupttäter Wessels hatte von Beginn an eine Tätlichkeit in angetrunkenem Zustand abgestritten und ausgesagt,er habe nur wegen Sabotage-Gefahr die von ihm konstatierten Defizite des Wachdienstes aufdecken und ein Exempel statuieren wollen. Ein „grobes Vorgehen in der Durchführung“ habe er nicht sehen können. Selbst beim Hinnehmen dieser recht fadenscheinigen Erklärung, hätte das Verhalten der juristischen Definition einer Tätlichkeit gegen eine Wache in Angriffsabsicht entsprochen. Bereits der Ermittlungsbericht des Marineoberstabsrichters vom 12.6.1944 hatte dem Gericht die Linie vorgegeben. Zwar habe eine gewaltsame Entwaffnung der Posten stattgefunden, und der Angeklagte Wessels habe sich von der fixen Idee der Intervention in den Wachdienst leiten lassen. Die Tat, die „keineswegs unehrenhaften Motiven“ entsprungen sei, sei aber von einem hervorragend bewährten Offizier begangen worden. Das Urteil vom 15.6.1944 lautete dementsprechend 8 Monate Gefängnis für Wessels, der diese Strafe als „sehr hart“ bezeichnete. Einer seiner Begleiter bekam 6 Wochen Arrest. Nach einer Entscheidung des Oberkommandos der Marine wurde die Strafe für Wessels nach 6 Wochen ausgesetzt. Bei dem verurteilten Begleiter wurde die Strafe nach 2 Wochen ausgesetzt. Wessels wurde dann als LI auf das in Ausbildung stehende U-Boote 870 versetzt und war ab März 1945 bei der FDU Ost.


(Nachdem Krieg versuchte ehemalige Marinesoldat Klaus Kuka den Fall zu recherchieren. Er sammelte dazu Briefwechsel von Besatzungsmitgliedern des Unterseebootes 428. Die Informationen ergaben ein unterschiedliches Bild der Geschehnisse. Bei weiteren Nachfragen gab nach Aussagen von Kuka sogar zu telefonischen Drohungen. Der Schriftwechsel dazu wurde uns von Axel Katins und dem FTU zur Verfügung gestellt. Aus welcher Richtung sie kamen, blieb unklar. Da das Urteil aber im Militärarchiv Freiburg vorlag, wurde der genaue Ablauf deutlich. Der größte Teil der Briefe stellte Heinz Ludwig zur Verfügung. Er war Besatzungsmitglied von U 428 und nach dem Krieg leitete er die Gedenkstätte Laura.
Link zur Gedenkstätte

Im Anhang sind noch einige Unterlagen zu U 428 zu finden. Auch dort gab es über Jahre unvollständige und nicht eindeutige Informationen zum Boot und den Besatzungsmitgliedern.


Zwei Tage nach dem Urteil war der Krieg zu Ende. Der Rechtsgutachter des Marinestandgerichtes Rendsburg hatte erhebliche Bedenken, dass Urteil zu bestätigen. Die Zeitumstände und die Auflösungserscheinungen in vielen Einheiten führten aber dazu, dass auch er das Urteil bestätigte. Einige der Verurteilten haben nach ein Jahr Haft durch ein Gnadengesuch frei zu kommen. Die Gnadengesuche wurden aber alle abgelehnt. 1948 war aber keiner der Täter noch in Haft.


Für Hans Ulrich Hanitsch war am 8.5.1945 der Krieg vorbei.

Er kam in englischer Kriegsgefangenschaft und wurde im Juli 1945 aus dieser entlassen. Die Entlassungsadresse war Rendsburg, Alte Kieler Landstraße 3. Dies war die Adresse von Frau Schünemann.

Am 26.7.1946 wurde er Einstellungsoffizier beim Minenräumdienst (1.D.M.R.E.A. 2.Kompanie). Aus dieser Einheit entfernte er sich unerlaubt am 14.5.1947.*

*(Quelle: Deutsche Dienststelle (WASt), Personalakte Hans Ulrich Hanitsch)


Frau Schünemann war die Ehefrau eines U-Bootkommandanten, der bis 1946 im Lazarett war. Sie folgte später Hanitsch nach Berlin und wohnte nach Aussagen der Familie mit Hans Ulrich Hanitsch in Berlin-Frohnau. Es blieb aber unklar, ob beide eine Liebesbeziehung hatten. Es wäre auch denkbar, dass beide für den französischen Geheimdienst arbeiteten.

Nach seiner unerlaubten Entfernung ging Hanitsch vermutlich über Frankreich nach Berlin. Hier meldete er sich offiziell in der Tannenstrasse 1 in Berlin-Frohnau an. Hier dazu die Zusammenstellung der Schüler.


Nach dem Krieg/ Tätigkeit als Spion


Nach Ende des Krieges geriet Hans-Ulrich Hanitsch in englische Kriegsgefangenschaft. Er meldet sich dort freiwillig zum Minenräumdienst DMRL, der 1945 aus den verbliebenen Teilen der Kriegsmarine gebildet wurde und die Aufgabe hatte, die Seeminen in den deutschen Küstengewässern zu beseitigen. In diesen setzten die Alliierten deutsche Kriegsgefangene ein, die im Falle einer Explosion oder durch Schiffsverluste relativ häufig starben. Dieses Risiko ging Hanitsch ein, vielleicht, weil er weiterhin auf dem Meer bleiben wollte, aber wahrscheinlich auch, weil die Behandlung dieser im Räumdienst eingesetzten Kriegsgefangenen oftmals besser war und sie sich weit autonomer verwalten konnten. Wahrscheinlich bekam er schon während der Zeit beim Minenräumdienst Kontakte zur französischen Verwaltung. Die Kommunikation dürfte aufgrund der sehr guten Sprachkenntnisse Hanitschs sowohl im Englischen als auch im Französischen reibungslos verlaufen sein. Auf jeden Fall gibt Hanitsch später an, in französischer Kriegsgefangenschaft gewesen zu sein, in der er sich aber tatsächlich nie befunden hat. Stattdessen konnten wir rekonstruieren, dass er die letzten Jahre seines Lebens für Frankreich spionierte. Was genau zu seinen Aufgaben zählte und wie er mehrmals unerkannt nach Potsdam in die sowjetische Besatzungszone ein- und ausreisen konnte, ist nicht mehr nachzuvollziehen. Sicher ist aber, dass er zu dieser Zeit unter mindestens 2 Deckadressen, einer in West-Berlin und eine in Auerbach (Vogtland), nutzte und dort gemeldet war. Aufgrund seiner Sprachkenntnisse, Abenteuerlust und seiner Intelligenz schien er für die Agententätigkeit äußerst gut geeignet gewesen zu sein. Die Zeit zwischen dem Ende des Krieges bis zum Beginn des Kalten Krieges war gerade in Berlin ein Abschnitt, in dem sich die einzelnen Agentennetze hart auseinandersetzten. Innerhalb seines Familien- und Bekanntenkreises hat wohl niemand von dieser Tätigkeit gewusst. Anzumerken ist außerdem, dass es schon während des Krieges zu einem Vorfall kam, bei dem ein französischer Soldat eine entscheidende Rolle spielte. Scheinbar kam es 1943 nicht, beziehungsweise nicht zur vollständigen Vernichtung von Funkschlüsselmitteln, deren Notiz er -vermutlich- vergessen hatte. Diese Funkschlüsselmittel sollen nun laut Vernehmungsprotokoll während einer Schiffskontrolle in eine Matratzennische gerutscht sein. Später tauchten sie in einer Polsterwerkstatt wieder auf. Ein Franzose meldete dann auch seinen Fund, circa am 28.10.1943. Es scheint aber zu keinem großen Schaden gekommen zu sein und Hanitsch wird nur Fahrlässigkeit vorgeworfen. Am 2.Dezember wird er zu vier Wochen Arrest verurteilt, die er in einem deutschen Gefängnis innerhalb von Paris absitzt.[8] Am 12.6.1950 wird Hanitsch auf einer Fahrt nach Cottbus verhaftet und im Juli 1950 in der Untersuchungshaftanstalt Potsdam (Gefängnis der Staatssicherheit) inhaftiert. Das Sowjetische Militärtribunal (SMT) Nr.48240 verurteilte Hanitsch am 18.12.1950 in Potsdam zum Tode durch Erschießen. Das Präsidium des Obersten Sowjets lehnte sein Gnadengesuch am 21.12.1950 ab. Das Todesurteil wurde am 27.12.1950 in Moskau vollstreckt. Sein Grab befindet sich in Moskau auf dem Friedhof Donskoje.
Internetlink Doolia für den Friedhof Donskoje in Moskau

[8] Man muss die Meinung der Schüler nicht teilen. Sie sahen eindeutig ein Zusammenhang zwischen der Verurteilung Hanitsch 1943 wegen Ungehorsams und der späteren Agententätigkeit für die Franzosen. Die guten französischen Sprachkenntnisse würden dafür sprechen. Belege dafür gibt es nicht. Anfragen zu Personen, die für den französischen Dienst gearbeitet hatten, wurden gar nicht beantwortet.


Auch ein bereits 1951 eingereichter Suchantrag von seiner Mutter bleibt unbeantwortet. In den Unterlagen des Suchdienstes (Deutsches Rotes Kreuz) finden sich folgende Hinweise.

Quelle: Schreiben Deutsches Rotes Kreuz vom 25.9.2015 und 12.11.2015

Das Amt für Umsiedler des Stadtrates Auerbach teilte am 17.6.1948 mit, dass der Gesuchte in der Kanonierstraße 35 in Auerbach gemeldet ist. Der Suchantrag war vom Februar 1952.

*2018 schrieb uns die Stadt Auerbach im Nachgang, dass Hans- Ulrich Hanitsch tatsächlich in Auerbach eine weitere Adresse als Deckadresse nutzte.

Laut einer Meldekarte vom 19.11.1954 kam die letzte Nachricht durch Dritte vom September 1950 aus Potsdam, Lindenstraße. Diese Meldung kam von Richard D. aus Berlin-Charlottenburg.

Eine andere Meldekarte vom 20.4.1960 hatte einen Hinweis vom 16.12.1959, in der Hans-Georg N. mitteilte, dass Hans Ulrich Hanitsch wegen Spionage verhaftet wurde. Eine andere Meldekarte vom 12.11.1956 hatte noch den ergänzenden Hinweis der Verhaftung „7.50 UHA Potsdam“.

Laut einer Karte vom 3.7.1957 war Hans Ulrich Hanitsch ledig und Vertreter* von Beruf. Vor seiner Verhaftung war er Marine-Offizier. Zu Kriegsbeginn wohnte er in Königsberg, Nachtigallensteig 12. Zum Zeitpunkt seiner Verhaftung wohnte Hanitsch in Berlin-Frohnau. Der Suchantrag wurde damals von der Tante des Gesuchten gestellt.

Noch am 15.3.1973 wurde eine Anfrage des DRK-Suchdienst bei dem Sowjetischen Roten Kreuz negativ beschieden.

2001 teilte das Auswärtige Amt mit, dass Rehabilitierungsunterlagen zu Hans Ulrich Hanitsch vorliegen (Liste 25 laufende Nummer 15860).

Die entsprechenden Urkunden in deutscher Übersetzung und im Original sind hier zu sehen.

*Im Landesarchiv Berlin liegen folgende Meldungen vor: Hans Ulrich Hanitsch war Angestellter der französischen Verwaltung und arbeitete dort als Dolmetscher und Chauffeur. Vermutlich benutzten Agenten unterschiedliche Berufe und Adressen.



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Anlagen

Interview mit Herrn Keil


Zu Ende unseres Projekts „Zeitzeugen- H.-U. Hanitsch“ reisten wir am 21.November 2015 nach Rostock Lütten- Klein. Einer der Neffen von Herrn Hanitsch, Herr Keil, und seine Frau hatten uns eingeladen, um noch einmal letzte Fragen zu klären und auch noch einiges an Bildmaterial zu sichten. Die überwiegend sehr alten Fotografien waren dabei nicht nur aus Recherchetechnischen Gründen sehr interessant für uns. Familie Keil empfing uns sehr freundlich und tatsächlich war noch eine Menge zusätzlicher Informationen zu erfahren. Gemeinsam verlebten wir einen schönen Tag.Es wurden sämtliche Lebenserfahrungen ausgetauscht, gut gegessen und (unsererseits) sogar noch ein wenig von Rostock gesehen.
An dieser Stelle „Vielen Dank“!


W: Wie gut kannten sie Herrn Hanitsch?

Nur als kleiner Junge… Er war eben wie ein Onkel. Näheres weiß ich gar nicht. Und diese Besuche in Berlin dann nachher mit meiner Großmutter, also mit seiner Mutter, die sind dann auch nicht so in Erinnerung geblieben, weil sie nicht so richtig wichtig waren.

W: Wo hat er denn gewohnt bevor die Familie nach Königsberg zog?

Die sind ja alle in Berlin geboren, die ganzen Kinder.

W: Achso?

Ja! Die sind alle in Berlin-Treptow geboren, also auch meine Mutter und so ging das da immer. So sind sie alle, auch Hans-Ulrich, in Berlin geboren und dann nach Tilsit gegangen, weil der Vater die Aufgabe bekam, dieses Lyzeum zu leiten, das war eben das Königin-Louise-Lyzeum und da war er der Direktor. Er war ja Oberlehrer und hat da mehr oder weniger diese Schule geleitet. Meine Mutter ist da auch zur Schule gegangen von 1921 bis, ja die hat ja da 12 Klassen gemacht, nee 13 sogar, ja die haben da 13 Klassen gemacht damals, sowas gab es da auch schon...

W: Beherrschte Herr Hanitsch Französisch?

Er sprach gut Französisch und Englisch. In der Familie, der Vater jetzt, Erich, der sprach Englisch und Französisch...

W: Ach Englisch auch?

Jaja sehr gut, das war sein Fach. Und dann machte er noch Sport, er arbeitete in so einer Turn Bereitschaft und ja, jedenfalls das waren seine Fächer, Englisch und Französisch. Und deswegen war das auch in der Familie so, da wurde viel französisch gesprochen, vielleicht auch um sich zu trainieren. Meine Mutter zum Beispiel, wenn das jetzt zum Beispiel als Weihnachtsgeschenk irgendwie was ausgetauscht wurde zwischen meiner Mutter und meiner Oma, da sprachen die beiden Französisch. Und als ich da als Kind daneben saß, das habe ich manchmal nichts verstanden und so ging das dann noch weiter...

W: (lachen)

Jaja, die Sprache kommt also mehr oder weniger mit der Familie, weil er das auch als Lehrer unterrichtete. Es steht also auch hier in diesem Bericht, dass er also beide Sprachen sprach, Eine Schülerin erinnert hier sogar, dass sein Unterricht immer sehr lebendig war (...) Und wenn nun auch im Englischunterricht Themen kamen, dann sang er oftmals.

W: Wissen sie was aus Frau Schünemann wurde?

Nee, gar nicht. Leider.

W: War es für sie überraschend, dass er als Spion tätig war?

Ja, als ich das dann las, ich wusste das ja nicht. Ja, überraschend war das schon. Ich weiß gar nicht ob das jemand gewusst hat und wenn ja wurde das gar nicht weiter geäußert. Als Kind, wenn ich da mit ihm in Kühlungsborn am Strand war. Da wusste ich gar nicht genau was er überhaupt macht.

W: Mmmmh.

Vielleicht wusste es seine Mutter oder von seinen Schwestern vielleicht eine, aber ich gar nicht.

W: Dann ist es ja auch wegen der Sprachkenntnisse nicht so überraschend, dass es dann ausgerechnet Frankreich war.

Ja, das war dann wohl damit in Verbindung. Er sprach die sprachen ja fließend und sowas suchte man damals ja auch. Er stellte sich dann auch als Dolmetscher zur Verfügung. (…) ich meine was will man nach dem Krieg machen ohne Ausbildung. Da ordnet man sich ja jemandem zu, wo man meint, das geht ganz gut.

W: Gab es ein Fahrzeug mit dem er in die sowjetische Besatzungszone gefahren ist oder Hinweise, was er da eigentlich gemacht hat?

Ich kann gar nichts dazu sagen. Man kann da ja nur vermuten (…) Wir wissen, dass die Russen in Cottbus und in Potsdam waren, was er da nun für Aufgaben hatte, um dahinzufahren, keine Ahnung. Es muss ja was Ernsthaftes gewesen sein. Aber was und wie und ob er da das Auto gefahren hat und wen er da gefahren hat, das weiß niemand.

(...) W: Wir wollten sie als ehemaligen Kapitän noch fragen, wie das Leben auf dem Meer so ist?

Erstmal muss man sich bewusst sein, dass das ja eine Verantwortung ist, die man da hat. Einmal für das Objekt selbst, also das Schiff, und das war da bei mir zum Ende beladen mit den ganz großen Containern, also 6000 davon. Also das ist eben wichtig. Aber der wichtigste Punkt ist die Besatzung. Dieses komplexe Ding muss man dann als Verantwortlicher in die Wege leiten. Der Sache muss man sich also bewusst sein. (...) Und wenn es Kritik gibt, wenn man was entschieden hat, dann muss man sich dem stellen und eben sagen: aber ich habe so entschieden. (…) Und außerdem war das ja mein Wunsch und damit gehe ich da ganz anders heran, als wenn ich das machen muss.

W: Das hat Hanitsch ja versucht, als er sich da auf dem U-Boot vor seine Besatzung gestellt hat und gesagt hat, ich möchte nicht mehr.

Ich denke mir, er war ja sehr jung als der Krieg begann, denn er ist ja 1922 geboren und 1944 bei dieser Sache da im Ärmelkanal, da war er ja noch recht jung. Und in dem Alter war ja diese Entscheidung noch nicht charakterlich fest. Das kann ich ja an mir selber sehen und so schätze ich ihn auch ein, dass er so draufgängerisch war und gesagt hat, so muss das jetzt sein und dann hat er entschieden. Wenn man jung ist, zieht man das ganz anders durch und dann will das eben sofort gemacht werden. Er hat ja am Ende sicherlich fast erkannt, meine ich, was für Sinnlosigkeit jetzt noch vor ihm steht. Da noch großartig Aktionen zu fahren, wo das alles schon zu Ende ging, da hat er wohl gedacht, das mach ich nicht. Offiziell ging ja nicht und dann gab es da halt Unstimmigkeiten. So denke ich mir das, also von meinem Standpunkt aus. (...) All diese Leute, das sind über 40 Mann auf diesem kleinen U-Boot, ganz verschiedene Charaktere. Da denkt man sich schon, das ist ja gar nicht leicht, die alle zu dirigieren. So wie das aus den Akten hervorgeht, waren da einige solche Heißsporne und andere ganz in Ruhe. Das ist schlecht einzuschätzen, wie sich die Situation da so aufbaut, dass die ihn da erschießen wollten.

W: Das stimmt. Wir fanden auch einige Teile der Aussagen ziemlich schockierend.

Ich glaube das war auch Selbstschutz, die Aussage. Zu der Zeit war ja immer die Frage, wie mache ich mich jetzt ideologisch fit, wie bereite ich mich vor. Dass das ins Auge ging, das konnte ja gar nicht anders sein.


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Fragen, die offen blieben:

Im Landesarchiv wird als Dienstrang von Hans Ulrich Hanitsch Kapitänleutnant angegeben. Sein letzter Dienstrang bei der Kriegsmarine war Oberleutnant. Wann es zu dieser Ernennung kam, ist nicht bekannt. Ob eine Beförderung während der Zeit beim Minenräumdienst möglich war oder ob auch hier ein Einfluss der Franzosen aktiv eine Rolle spielte, konnten wir nicht herausfinden.

Welche Motive Hans Ulrich Hanitsch hatte, nach dem Krieg als Agent tätig zu werden, blieb im Dunkeln. Gab es politische Motive? Wollte er ein freies Land? Im Buch (Erschossen in Moskau ...Die deutschen Opfer des Stalinismus auf dem Moskauer Friedhof Donskoje 1950-1953) werden als Hauptmotive wirtschaftliche Gründe, Abenteuerlust und oft auch Leichtsinn angegeben.

Irgendwie wollten wir auch wissen, ob Frau Schünemann Partnerin oder Agentin war. Ihr Name zog sich durch die Unterlagen. Über ihr Schicksal wissen wir aber heute nichts. Sie verschwand auch für die Angehörigen wie Hans Ulrich Hanitsch plötzlich und tauchte nie wieder auf.

Wie die Täter nach dem Krieg ihr Leben gestaltet haben, hätte uns auch interessiert. Dies war leider nicht möglich. Sie hatten fast alle ein langes Leben. Ob sie diese Phase ihres Lebens reflektiert haben und sich selber hinterfragt haben, blieb uns auch verborgen.

Vielleicht werden sich auch einige Leser Fragen stellen, die hier gar nicht gestellt wurden. Tatsächlich konnten wir gar nicht das ganze Material, was uns schließlich zur Verfügung stand, nutzen. Es ergaben sich immer wieder neue mögliche Richtungen, die eine weitere Recherchen bedurften. Aber alle Beteiligten gehen noch zur Schule oder haben einen Vollzeitberuf. Deshalb hier noch einmal der Hinweis, dass wir uns natürlich über weitere Hinweise und Anregungen freuen.


Anmerkungen zu den Bootsblättern (hier U 428)

Axel Katins hat dieses Bootsblatt zur Verfügung gestellt. Es ist in französischer Sprache verfasst worden. Herr Gericke, der früher in der Deutschen Dienststelle in Berlin-Reinickendorf gearbeitet hat, sagte uns dazu Folgendes.

Die Deutsche Dienststelle arbeitete nach dem Krieg unter der französischen Verwaltung. Mit dem Abzug aus der Deutschen Dienststelle wurden alle dortigen Unterlagen vervielfältigt und mit nach Frankreich genommen. Diese Zusammenstellung muss dann mit den Daten der Franzosen entstanden sein, da sie sehr genau ist. Spätere Zusammenstellungen sind teilweise fehlerhaft, da sie oft mit Daten aus dem Gedächtnis von ehemaligen Besatzungsmitgliedern entstanden sind. Zum Beispiel liegen uns Bootsblätter vor, in der erste Wachoffizier mit dem Namen des Smuts vertauscht wurde. Warum hier der Vermerk „SECRET“ steht, blieb uns ein Rätsel.


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Bei dem nächsten Bootsblatt vom U-Boot-Archiv sind solche ungenauen Angaben nicht zu finden. Dafür wird aber auf die Nennung der Wachoffiziere, LI und Obersteuermann verzichtet. Einen Hinweis dazu gab es nicht.


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Anlage - Bilder Besatzungsmitglieder


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Nachwort
Wie nähert man sich einer Person, die in einer Zeit lebte, die nicht nur 65 lange Jahre her ist, sondern uns auch in ihrer Art und Weise völlig fremd zu sein scheint. Wie nähert man sich einer Person, deren Leben in nur wenigen Aktenaufzeichnungen oder Archivdokumenten nachgelesen werden kann. Wie erfasst man das Leben einer Person, dessen Aura, dessen Persönlichkeit, dessen Schicksal am Ende nur noch auf dem Papier existiert?
Im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft „Zeitzeugen“ beschäftigen sich Schülergenerationen des Gebrüder Montgolfier Gymnasiums mit historischen Ereignissen oder Personen, die im Bezirk Treptow-Köpenick ihre Heimat hatten. Vergangenheit wird Jetzt. Vergangenheit wird lebendig.
Der Hobbyhistoriker Heinz-Jürgen Baumann hat es sich seit Jahren zur Aufgabe gemacht, historische Personen des Bezirkes und deren Lebensgeschichte bzw. historische Erinnerungsstätten und deren Geschichte mit interessierten jungen Menschen aufzuarbeiten und damit Geschichte erfahrbar werden zu lassen.
Die AG „Zeitzeugen“ und ihr Leiter Herr Baumann entschieden sich, in einem Projekt das Leben von Herrn Hans-Ulrich Hanitsch zu erforschen. Augenmerk lag vor allem darauf, die Person in ihren Handlungen am Ende des 2. Weltkrieges zu untersuchen. Es gab Indizien, die die Entscheidungen von Herrn Hanitsch als U-Boot Kommandant auf einem stillgelegten Boot als mögliche Kriegsverweigerung zu interpretieren seien. Im Laufe weiterer Recherchen stellte sich jedoch heraus, dass diese vorläufige These schwierig zu belegen ist. Unsere Untersuchung konzentrierte sich auf den Prozess um Herrn Hanitsch, in dem er als Opfer eines Anschlages durch Marinesoldaten auftrat. Die widersprüchlichen Aussagen der Täter und Opfer sowie das abschließende Urteil und die Einordnung in den historischen Kontext führten zu dem Schluss, dass Herr Hanitsch aus persönlichem Interesse, womöglich aus privaten Gründen Handlungen ausführte, die nicht eindeutig als Kriegsverweigerung gedeutet werden können.
Die Aktenlage sowie die Aufarbeitung des Lebens von Herrn Hanitsch stellten sich als äußerst schwierig dar. Die Aussagen in den Prozessakten ließen ein unklares, diffuses Bild sowohl von Hanitsch als auch von den Attentätern erkennen. Die historische Aufarbeitung und Einordnung aller Prozessaussagen durch die unermüdliche Arbeit von Herrn Baumann führten abschließend zu unserem Urteil.
Es war schwierig aus den verschiedenen Fragmenten ein ganzes Bild von Herrn Hanitsch zu kreieren.
Darüber hinaus ist den Schülerinnen die Arbeitsweise eines Historikers, der sich tage-, wochen- und monatelang durch Akten und Bücher forstet, im Rahmen dieses Projektes nähergebracht worden. Die Arbeit war schleppend, teilweise sogar unbefriedigend. Hans-Ulrich Hanitsch kam uns näher und entwich uns wieder. Der rote Faden, die grobe Struktur schien in weiter Ferne. Zudem gab es bei jedem Treffen neue Informationen über die Person Hanitsch, die es einzuordnen galt. Am interessantesten war die Entdeckung, dass Herr Hanitsch als „Spion“ für die französische Besatzungszone in der Nachkriegszeit gearbeitet haben sollte.
Doch wie sollten wir all diese unterschiedlichen Aspekte zusammenbringen? Aber genau hierin zeigt sich, dass der Mensch ein vielschichtiges, komplexes Wesen ist, das eben nicht leicht zu erforschen ist.
Die Recherchearbeit bzgl. des „Spionagevorwurfes“ wurde zudem erschwert, da Hanitsch 1950 in Moskau verurteilt und hingerichtet wurde. Alle Akten zu diesem Prozess sind bisher unter Verschluss und bis heute nicht freigegeben. Vieles liegt also im Dunkeln, vieles bedarf der Interpretation, um das Leben von Herrn Hanitsch zu beschreiben und seine Taten zu interpretieren.
Einem Glücksfall und der intensiven Recherche von Herrn Baumann ist es zu verdanken, dass wir den Nachfahren Herrn Keil in Rostock besuchen konnten, der uns freundlicherweise zu einem Interview bereitstand.
Herr Keil hat mit großem Interesse die Geschichte seines Onkels Hanitsch durchforstet, um auf unsere Fragen zu antworten. Dennoch kannte auch er nicht immer die genauen Umstände zum Leben seines Onkels. Hanitsch verschwand im Jahre 1950 und kam nie wieder.
Wir hoffen mit unserem Projekt ein wenig Licht ins Dunkel gebracht zu haben. Mag diese kleine Biografie uns mahnen, erinnern und niemals vergessen lassen, dass Menschen Geschichte machen.

Besonderer Dank gilt Herrn Baumann für sein überaus großes Engagement und seine intensive Recherchearbeit sowie Herrn Keil für die Erzählung seiner Lebensgeschichte, beginnend von der Flucht aus Königsberg bis zu seinen letzten Fahrten für die „POLARSTERN“ [10], sowie für die Bereitstellung der familiären Fotografien um Herrn Hanitsch.

[10] Forschungsschiff Polarstern



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