Mit der "Friedenau" nach Norwegen

Ein Erlebnisbericht von Alfred Gräf

Einheit Feldpostnummer 04627 B

Am 29. November 1939 wurde aus der 2./I.E.Batl. 18 und 1 Zug der 4./I.E.Batl. 18 die Einheit Feldpostnummer 04627 B (1./I.R. 340) gebildet und somit aus dem Ersatzheer in das Feldheer eingegliedert. Bis zum 6. Januar 1940 blieb die Einheit in Danzig-Langfuhr, Husarenkaserne II, Hochstrieß.
Am 6. Januar 1940 wurde die Einheit mit dem I.Batl. nach Neustadt, einer Stadt im ehemaligen polnischen Korridor, versetzt. Der neue Standort, etwa 50 km westl. Danzig in Richtung Lauenburg Pommern gelegen, wurde im Fußmarsch bei ungünstigen Straßen- und Wetterverhältnissen - vereiste Straßen, ziemliche Kälte - erreicht. Die Kompanie hatte trotzdem keinen Ausfall.


Alfred Gräf

Die Ausbildung in Neustadt wurde stark behindert durch:
1.) Die Unterkunft. Die Kompanie lag in einem ehemaligen Konvikt, in dem polnische kath. Geistliche ausgebildet wurden. Betten nicht vorhanden, Strohlager. Ziemlich enge Belegung der Stuben, Spinde oder dergleichen nicht vorhanden.
2.) Die Witterung. Ein selten scharfer Winter hielt wochenlang an. Kälte bis zu -35° keine Seltenheit. Schneeverwehungen bis zu 1,50 m und darüber. Durch Aufstellung einer 4. Kompanie M.G.K. wurden ca. 40 Kompanieangehörige (u.a. 1 Feldwebel, 3.Uffz.) nach dort versetzt. Die Kompanie wurde aufgefüllt durch Mannschaften aus der 4. Kompanie und vom Ersatzbatl. aus Graudenz.

Am 9. März 1940 wurde das Regiment versetzt nach Danzig und Umgebung. Die Kompanie bekam als neuen Standort Neufahrwasser zu gewiesen. Dieser Standort wurde ebenfalls im Fußmarsch erreicht unter ähnlichen Umständen wie der am 6.1.1940. Auch diesmal hatte die Kompanie keinen Ausfall. Die Unterkunft war eine Schule - Turnhalle und Klassenzimmer - zuerst Strohlager, dann Betten. Die Schreibstube lag etwa 1 km entfernt von der Unterkunft in der Gastwirtschaft Kroll. Die Ausbildung wurde planmäßig fortgesetzt. Der Kompanie- und die Zugtrupps nahmen an der Blink- und Meldeausbildung des Batl. teil.
Am 6. April 1940 bekam die Kompanie den Befehl zur Vorbereitung einer Divisionsübung. Um 16.00 Uhr trat alles feldmarschmäßig zum Appell an. Durch Verfolgen der politischen Lage war den meisten Kompanieangehörigen klar, daß diese Divisionsübung ein Verlassen des Standortes Neufahrwasser bedeutete und wohl irgendwo in Skandinavien durchgeführt werden würde und zwar als Übung, in der scharf geschossen würde. Am Abend - es war ein Sonnabend - wurde in Neufahrwasser Abschied genommen.

Sonntag, 7. April 1940


"Friedenau"

Letztes Rüsten, Packen, Empfangen und Verladen. Um 12.30 Uhr steht das Bataillon auf dem Schulhof der Albrechtstraße abmarschbereit, 153 Soldaten der 1.Kompanie. Meldung an den Batl.-Kommandeur, dann kommt der Befehl zum Abmarsch. Neufahrwassers Bevölkerung umsäumt die Straßen. Um 15.00 Uhr wird Oliva erreicht, dort sammelt sich das Regiment. Um 16.00 Uhr geht es weiter Richtung Zoppot. Schwer drückt der Tornister, alles ist drin, dazu Mantel, Decke, Zeltbahn. Heiß ist der Tag. Es wird eisern weitermarschiert, auch wenn die Füße von der Regimentsübung am Donnerstag, den 4.4.1940, noch nicht in Ordnung sind. Von Zoppot geht es in Richtung Gotenhafen. Dort um 19.00 Uhr angelangt. Noch eine Stunde durch die Stadt und die Hafenanlage, dann ist das Ziel erreicht.
Am Kai liegen Handelsschiffe, eines nimmt uns auf, die „Friedenau". Vorher wird Verpflegung, scharfe Munition empfangen. Im Schiff alles eng, aber ein Strohsack ist für jeden da, ein Rettungsgürtel als Kopfkissen. Die Ausrüstung und die Waffen werden untergebracht, schnell noch gegessen und dann wird geschlafen trotz des Lärms der Kräne und Wind. Die ganze Nacht werden Fahrzeuge, Pferde, LKW und Infanterie-Geschütze verladen.

Montag, 8. April 1940

Um 9.00 Uhr werden die Anker gelichtet und wir fahren los und wie wir vermutet hatten, Richtung Norwegen. Die Fahrt geht an der Pommernküste entlang, die wir den ganzen Tag sehen. Wunderbares Wetter, ganz ruhige See. Die Mannschaften kommen nacheinander kompanieweise auf Deck und zwar getarnt, d.h. Decken um, Mütze ab.

Dienstag, 9. April 1940

In der Nacht sind wir an Rügen vorbei gefahren, an Mecklenburgs Küste. Die dänische Küste wird gesichtet, es geht an Lolland, Langeland vorbei in den großen Belt hinein. Der Konvoi sammelt sich, es sind 15 Transporter, zum Schutz sind mehrere Vorpostenboote, U-Jäger, Torpedoboote vorhanden. Einige Flugzeuge kreisen über uns. Das Wetter bleibt sonnig, die See klar.
Gelegentlich dringt Fliegeralarm durch das Schiff, eine Vorsichtsmaßnahme, alle Man runter vom Deck. Weitere Ereignisse sind nicht zu verzeichnen. An Deck singt der Batl.-Chor seine Lieder von Liebe, Heimat und Kampf - still gehen wir in später Stunde zur Ruhe. Unsere brave "Friedenau" an der Spitze des Geleitzuges bahnt sich verbissen und mit voller Kraft ihren Weg durch das Treibeis zwischen den dänischen Inseln.

Mittwoch, 10. April 1940


"Hanau"

Der dunkelste Tag unserer Kompanie beginnt wieder mit herrlichem Sonnenschein und ruhiger, glatter See. Wir sind in der Nacht in den Kattegatt eingefahren und erreichen gegen Mittag den Skagerrak. Die Stimmung an Bord ist noch gut, die Tarnung haben wir fallen gelassen und bewegen uns als deutsche Soldaten an Deck.
Rechts von uns sehen wir die schwedische Küste. Gegen 14.30 dröhnen Schläge durchs Wasser. Ein Vorpostenboot bleibt zurück und wirft Wasserbomben. Was ist da wohl los? Wir erfahren es, ein feindliches U-Boot soll gesichtet worden sein und ist bekämpft worden. Die Stimmung wird ein wenig anders, aber an eine Gefahr denkt man noch nicht. Das Leben an Bord geht seinen gewohnten Gang weiter, die Kompanien kommen und gehen.
Um 17.00 Uhr kommt ein Torpedoboot längsseits und sein Kommandant ruft durchs Sprachrohr hinüber, daß auf die "Hanau" ein mißglückter Torpedierungsversuch gemacht worden sei und gab den Befehl, dass die gesamte Belegschaft des Schiffes Schwimmwesten anzulegen hätte. Vielleicht hat manch einer diese Anordnung als übertriebene Vorsicht empfunden.
Um 18.00 Uhr wurden alle Zug- und Gruppenführer zum Kompanie-Chef befohlen. Der Hauptfeldwebel dt. Schöffel gab die Befehle für die Landung in Oslo, die am anderen Morgen sein sollte, bekannt. 1. Gruppe Erkundungskommando, 2., 3. und 4. Gruppe Ausladekommando, I.Zug Fliegerschutz. Die Gruppenführer gehen zu ihren Gruppen und geben die Befehle weiter.


"Wigbert"

Gegen 18.30 Uhr ertönt ein Rufen durchs Schiff, daß rechts vor uns ein Vorpostenboot in die Luft geflogen sei, entweder durch Torpedo getroffen oder auf eine Mine gelaufen. (Später hörten wir, daß der tapfere Kommandant dieses Vorpostenbootes mit Absicht in eine Torpedobahn gelaufen war, diesen abgefangen, der einem Transporter gegolten hat).
Dann dröhnt kurz danach, viele eilten an Deck oder waren vielmehr auf dem Wege dahin, ein heftiger Schlag, die "Wigbert" halbrechts vor unserer "Friedenau", hatte einen Torpedotreffer erhalten.
Ehe wir alle, ein großer Teil der Kompanie hatte sich bereits zum Schlafen hingelegt, noch nicht recht fassen können, was denn eigentlich geschehen, da trifft schon ein Torpedo unser Schiff. Ein heftiger Schlag dröhnt auf, ein Splittern und Krachen, ein Zittern durchläuft das Schiff. Das Achterdeck, hier saß der Torpedo, sackte gleich weg um einige Meter. Von der Gewalt der Explosion waren Bohlen, Lukenbretter hochgewirbelt. Viele Kameraden wurden zu Boden geschleudert. Alles springt auf, was noch liegt, da trifft uns mit größter Genauigkeit ein zweiter Torpedo und reißt das Mittelschiff auf. Alles fliegt hoch, die Schiffsaufbauten brechen zusammen, aus der hinteren Ladeluke, die im Nu unter Wasser ist, quillt Wasser hoch, überflutet das Achterdeck, das bald tief in der See liegt.
Eine Menge Kameraden werden durch umherwirbelnde Splitter getötet oder verwundet. Trotz dieser verzweifelten Situation bricht keine Panik aus, wohl gellen Hilferufe getroffener Kameraden über das Schiff. Schon gellt von der Kommandobrücke der Befehl übers Deck: "Alle Mann von Bord, rette sich wer kann!"


Die sinkende "Friedenau"

Dann geht alles sehr schnell. Schlauchboote, Bretter und Bohlen werden ins Wasser geworfen, die Rettungsboote klargemacht und nun springen die Kameraden in die Nordsee, denn das war überhaupt die letzte Rettungsmöglichkeit, unsere "Friedenau" mit zwei Torpedotreffern konnte sich nicht mehr lange halten. Rings um das sinkende Schiff tauchen überall die braunen Punkte der Schwimmgürtel auf, schwimmend strebt alles auf die Schlauchboote, Bohlen, Heu- und Strohballen zu, um einen Halt zu bekommen. Hilferufe gellen schaurig über das Wasser, das erstarrend kalt ist.
Unsere "Friedenau", zu Tode getroffen, bäumt sich auf, prasselnd und krachend bricht der große Mast zusammen. Steil ragt das Vorderdeck in die Luft. Dampf zischt auf, der Kessel explodiert. Und immer noch sieht man Kameraden auf dem Schiff, die vielleicht die Nerven verloren haben oder nicht den Entschluß finden können oder auch einfach nicht mehr wegen ihrer Verletzungen in der Lage sind, herunterzuspringen.
Alles, was aber schon im Wasser ist, strebt vom sinkenden Schiff weg, um nicht von dem Sog in die Tiefe gerissen zu werden. Was sich im Wasser an Szenen kameradschaftlicher Hilfsbereitschaft abspielt, wie ein Kamerad dem andern, der Schwimmer dem Nichtschwimmer, der noch Stärkere dem Schwachen hilft, vermag niemand recht zu sagen. Das ist ja auch so selbstverständlich, ist einfach Kameraden- und Soldatenpflicht.
Sechs Minuten nach den beiden Treffern versinkt unsere "Friedenau", das Vorderdeck steil hoch, in den Fluten und mit ihr all unsere Ausrüstung, unsere Fahrzeuge, 104 Pferde, unsere Verpflegung und was am bittersten ist, so mancher gute Kamerad. Die "Wigbert" liegt noch mit schwerer Schlagseite über Wasser, sie gebraucht 21 Minuten, bis sie nachgeben muß.


Rettungsarbeiten

Heldenmütig ist die Rettungsaktion der Torpedo- und Vorpostenboote. Obwohl sie noch im Kampf mit den feindlichen U-Booten liegen, obwohl sie selbst jeden Augenblick den vernichtenden Treffer erhalten können, tun die Besatzungen, was in ihren Kräften steht, um uns zu retten. Sie setzen ihre Rettungsboote aus, sie fahren an die Schlauchboote und Bohlen, die voll von Soldaten hängen, heran und ziehen an Bord, was sie eben erreichen. Ohne diese tapferen Kameraden der Marine wäre mancher nicht gerettet worden. Manch Kamerad, auch unser Hauptmann und unser Leutnant, unser Uffz. Ernst Schöne, kommen noch lebend an Bord und brechen dort zusammen; die gewaltige Anstrengung und das eisige Wasser - wir trieben alle 1/2 - 1 Stunde, manche noch länger drin - hatten das Herz zu sehr belastet, es hielt nicht mehr durch.
Übereinstimmend berichten alle Geretteten von der Kameradschaft der Besatzungen. Sie gaben alles an Kleidern und Wäsche, was sie hatten, selbst ihre eigenen Ausgehanzüge, sie gaben uns Kaffee, Brot, Wurst, Schnaps, Zigaretten. Sie halfen den Kameraden, die vor Schwäche die Besinnung verloren hatten, durch unermüdliches Reiben und Wiederbelebung, sie sprachen uns immer wieder Mut zu, sie beruhigten uns, kurz, was diese Kameraden uns getan, wird keiner von uns je vergessen.
Und dann saßen wir dicht gedrängt im Maschinenraum, in den Kabinen, in den Aufenthaltsräumen, manches kleine Vorpostenboot hatte bis 150 Gerettete an Bord, die Torpedoboote noch mehr, saßen und schraken hoch, als plötzlich wieder die Wasserbomben knallten, fuhren zusammen wenn eine Tür zuschlug, warteten alle Augenblicke darauf, daß uns ein Torpedo erneut traf oder wir auf eine Mine fuhren, denn uns war bekannt geworden, daß die Schiffe, ein jedes selbständig für sich, mit voller Fahrt durch das Minenfeld des Skagerrak fuhren. Kurzum, wir alle waren fertig mit den Nerven und jene Stunden, da wir als Schiffbrüchige auf den Vorposten-und Torpedobooten saßen, jene Nachtstunden waren fast genauso kräfte- und nervenraubend wie die Zeit des Schiffsunterganges selbst. Da saßen wir herum in allen Ecken, rauchten eine Zigarette nach der anderen, notdürftig bekleidet, starrten und sinnierten vor uns hin, hielten alle die Schwimmwesten fest an uns, da sie uns einmal das Leben gerettet. Schlafen konnte und mochte keiner. Und dann kamen von selbst die Gedanken: Was machen die Kameraden? Wer ist wohl alles gerettet? Sind wir auf unserem Boot wohl die einzigen der Kompanie? Ein jeder dachte an die Kameraden, die ihm besonders nahe standen und fragte nach ihrem Schicksal. Dieser 10. April 1940 wird uns allen, die ihn überlebt haben, unvergessen bleiben.

Donnerstag, 11. April 1940

Auch diese Nacht, die so wohl gar kein Ende nehmen sollte, ging vorbei. Wieder war es ein herrlicher Sonnentag. Als es hell wurde, konnte man überhaupt erst sehen, wer denn alles auf dem Boot war. Freudig wurde den Kameraden, die man wiedersah und die man kannte, die Hand gedrückt. Wir alle atmeten auf, als die Kameraden der Marine uns sagten, daß wir aus der Gefahrenzone heraus seien.
Bald war der Eingang des Oslofjordes erreicht. Als wir mal an Deck gingen, waren wir alle stolz und froh zu sehen, wie sich der Geleitzug, der doch am Vorabend ordentlich durcheinandergeschüttelt worden war, dessen Schiffe in der Nacht selbständig und auf eigene Gefahr weitergefahren waren, sich wieder gesammelt hatte wohlgeordnet in Kiellinie daherfuhr und so den Kameraden, die schon in Norwegen waren, die so nötige Verstärkung brachten. Drei Transporter, darunter unsere "Friedenau" und jenes heldenhafte Vorpostenboot, fehlten.
Landschaftlich ist der Oslofjord ja schön, aber wir konnten diese Schönheit nicht so recht genießen, denn unsere Gedanken waren ja ganz wo anders. Wir sahen die fein dem Gelände angepaßten und in die Felsen eingebauten Forts, kamen an der Stelle vorbei, wo unsere stolze "Blücher" zusammengeschossen worden war und dann sank. Als wir das hörten und dann an unser Schicksal und unsere Kameraden dachten, ist wohl in jedem ein glühender Haß und unbändige Rachegefühle gegen den Tommy hochgestiegen und dachte an den Gruß, den man sich während des Weltkrieges zurief: Gott strafe England!


Nachwort

Alfred Gräf nahm nach diesen Ereignissen am Norwegenfeldzug teil mit Vormarsch durch Süd- und Mittelnorwegen.
Ab April 1942 war er bis zum 19.Juli 1944 in Fauske, Nordnorwegen, stationiert. Er war während dieser Zeit bei einer norwegischen Familie einquartiert. Der Kontakt zu dieser Familie blieb bis heute erhalten. Meine Eltern und auch ich verbrachten viele Urlaube in Fauske, ich verbrachte häufig meine Schulferien dort und nannte die alte Dame des Hauses Bestemor (Oma auf norwegisch). Mein Vater sprach fließend Norwegisch und auch ich habe Norwegisch gelernt. Ich stehe noch heute mit den Kindern dieser Familie in regelmäßigem Kontakt.
Am 19.Juli 1944 wurde die Einheit von Oslo aus nach Dänemark verschifft und von dort wurde sie ab dem 25.07.1944 in die Abwehrkämpfe an der ostpreußischen Grenze eingesetzt. Mein Vater wurde bei diesen Kämpfen schwer verletzt und konnte nur knapp der Angriffswelle der Roten Armee entkommen.
Er verstarb am 17.03.2010 im Alter von fast 93 Jahren. Die Zeit als Soldat in Norwegen hat eine tiefe Liebe zu diesem Land und seinen Menschen in seinem Herzen verankert.

Ulrich Gräf, 20.05.2013


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