„Warum kommt ihr erst jetzt, so spät?“

13. bis 16. Oktober 1989 - Erster deutscher Flottenbesuch in Leningrad!

Am Freitag, dem 13. Oktober 2017, sind genau 28 Jahre seit dem Ersten Besuch in der Geschichte der Seestreitkräfte der Bundesrepublik Deutschland in die Sowjetunion vergangen. Das vom sowjetischen Staatspräsidenten und Generalsekretär der KPdSU, M.S. Gorbatschow, eingeleitete Tauwetter und die Perestrojka wirkten sich auch auf die Beziehungen der beiden Marinen, der Bundesmarine und Sowjetischen Marine, aus. Der Kommandeur der Zerstörerflottille, Flottillenadmiral Hans-Rudolf Boehmer, ein Flottenführer der neuen deutschen Generation und vom Krieg unbelastet, hatte von der sowjetischen Marine eine Einladung zu einem Besuch mit drei Kriegsschiffen bekommen. Dieses waren die damals neueste Fregatte der Bundesmarine „Niedersachsen“, der Zerstörer „Rommel“ und das Trossschiff „Coburg“. Die Schiffe mit ihren 650 Besatzungsangehörigen an Bord, darunter auch viele Wehrpflichtige und 12 eingeschifften Marine-Dolmetschern, liefen zu einem Besuch in die geschichtsträchtige, an der Newa-Mündung gelegene, Stadt Leningrad, aus.

Die Schiffe liefen in den Gewässern des Finnischen Meeresbusens in Kiellinie: „Niedersachsen“, „Rommel“ und „Coburg“, unter Austausch von 21 Schuss Salut durch die Fregatte „Niedersachsen“, vorbei am Flottenstützpunkt Kronstadt auf der Leningrad vorgelagerten Insel Kotlin, mit im Top wehender sowjetischer Seekriegsflagge, in Leningrad ein. Nach 77 Jahren der Konfrontation, nach zwei Weltkriegen, wurde im Oktober 1989 in der Marinebasis Leningrad der Beginn neuer Beziehungen zwischen den beiden Flotten und Mächten gesetzt. Drei bundesdeutsche Kriegsschiffe liefen in einen sowjetischen Hafen ein.


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Der vorhergehende offizielle Besuch deutscher Kriegsschiffe in Russland fand durch drei Ausbildungskreuzer der Kaiserlichen Marine, „Hertha“, „Freya“ und „Vineta“, im Jahr 1912 statt. Ein kleiner Exkurs in die Vergangenheit lässt die Schlussfolgerung zu, dass die Geschichte der gegenseitigen Beziehungen der beiden Flotten nicht als reich bezeichnet werden kann. Zwei Jahre nach dem Besuch der deutschen Ausbildungskreuzer in Russland, besuchte 1914, im Rahmen eines Gegenbesuchs, der russische Kreuzer „Oleg“ Kiel und dann brach der Erste Weltkrieg aus und setzte für einen bestimmten Zeitraum ein Kreuz auf der Marinefreundschaft zwischen Russland und Deutschland. Richtig ist, dass 1929 zwei sowjetische Kriegsschiffe (Zerstörer des Typs „Nowik“, die zu dieser Zeit die Namen „Lenin“ und „Rykov“ trugen) zu einem Besuch in Deutschland in Pillau/Ostpreußen (jetzt Baltijsk, Gebiet Kaliningrad, Hauptbasis der Baltischen Flotte) waren. Damit brach die Geschichte der Freundschaftskontakte der beiden Flotten ab.

Die Lage am Vorabend des Besuchs war im vollen Sinne des unter Militärs üblichen Begriffs „schwierig und angespannt“. Man darf dabei nicht vergessen, dass in den 1980-er Jahren, besonders betrifft dieses deren zweite Hälfte, der „Kalte Krieg“ im vollen Gange war und man diese Jahre auch fast als Höhepunkt des „Kalten Kriegs“ bezeichnen könnte. Wenn dieses an Land nicht so stark zu merken war, so verspürte man dieses auf den Meeren und Ozeanen sehr deutlich. In der Ostsee fanden ständig Übungen sowohl der nationalen Flotten der Ostseeanliegerstaaten, als auch der vereinigten Seestreitkräfte der NATO- und Warschauer-Vertrag-Staaten, statt. Mitte der 1980-er Jahre führte im Seegebiet um Bornholm ein Übungsschießen eines der Linienschiffe der US-amerikanischen Flotte, die „Iowa“, durch. Ständig hielt sich in der Ostsee ein operativer Kriegsschiff-Verband der NATO auf und regelmäßig lösten sich bei ihrer ständigen Wachtätigkeit Aufklärungsschiffe und Aufklärungsflugzeuge beider Seiten ab. In der damaligen Zeit lief es nicht ohne Zwischenfälle ab. Darunter gab es sehr ernste. Besonders ist hier ein Zwischenfall zu erwähnen der während der gemeinsamen Übungen von Kriegsschiffeinheiten des Warschauer-Vertrages unweit der Küste des Gebietes Kaliningrad vorgefallen war. Im Juni 1987 wurde das deutsche Kriegsschiff „Neckar“ aus Bordgeschützen eines polnischen Kriegsschiffes beschossen. Die „Neckar“ trug ernsthafte Beschädigungen davon und mehrere Besatzungsangehörige wurden mit schweren Verletzungen mit Hubschraubern nach Deutschland geflogen. Dieses konnte ja praktisch zum Vorwand für den Beginn von Gegenmaßnahmen werden. Ohne zu übertreiben kann gesagt werden, dass in diesem Augenblick beide Seiten aufeinander durch die Fadenkreuze geschaut haben. Das Feindbild dominierte in allen Sphären der zwischenstaatlichen Beziehungen. Dieses fand auch in der Militärpolitik seinen Widerhall.

Jedoch Ende der 1980-er Jahre, als alles in Richtung von Wandel und Entspannung in den Beziehungen ging, wurde diese Situation nicht nur unerträglich, sondern auch widernatürlich. Die Staaten begannen mit friedliebenden Schritten aufeinander zu zu gehen. 1988 wurden die Vereinbarungen zur Vermeidung von Zwischenfällen auf See außerhalb der jeweiligen Territorialgewässer verabschiedet. Im Frühjahr 1989 besuchte der Oberbefehlshaber der sowjetischen Seekriegsflotte, Admiral der Flotte W.N. Tschernawin, Deutschland und im Mai weilte zu einem Gegenbesuch in Moskau und Leningrad der Generalinspekteur der Bundeswehr, Admiral Dieter Wellershof. Offensichtlich wurden gerade in diesem Zeitraum Entscheidungen zu einer grundlegenden Änderung der Beziehungen in der militärischen Sphäre getroffen. Zur Grundlage der friedliebenden Politik auf dem Gebiet der Militärbeziehungen wurden gerade die Seestreitkräfte.

Bei strahlendem Wetter und einer Temperatur von 4 Grad plus und „Mützen-Schwenken“, sowie einen dreifachen „Begrüßungshurra“ lief der deutsche Kriegsschiffs-Verband in Leningrad ein. Der sowjetische Konteradmiral Kiril A. Tulin, Typ „Seebär“, kam an Bord der „Niedersachsen“ und begrüßte den Verbandsführer und die Besatzungen der Schiffe in Leningrad. Danach folgte ein überaus angefülltes Programm, sowohl für die Führung der drei Schiffe, als auch die Besatzungsangehörigen. Auf dem legendären Kreuzer „Aurora“ gab es eine Pressekonferenz bei der der Befehlshaber der Marinehauptbasis, Admiral Viktor Alexandrowitsch Samoylov, diesen Ersten Besuch deutscher Einheiten nach dem Kriege als „Meilenstein und historischen Augenblick in der Geschichte“ bezeichnete hatte. Ein ganz wichtiges Ereignis war die Kranzniederlegung auf dem „Piskarjowskoje“-Friedhof. Flottillenadmiral Hans-Rudolf Boehmer legte hier in Begleitung von 60 Offizieren und Soldaten einen Kranz nieder. Auf 28 Hektar ruhen dort in 186 Massengräbern mehr als 500.000 Leningrader Bürger, die während der deutschen Belagerung und Blockade (1941-1943) zum größten Teil verhungerten. Der mit roten und weißen Nelken geschmückte Kranz trug den Adler der Bundesrepublik Deutschland und die Aufschrift: „Der Bundesminister der Verteidigung“. Flottillenadmiral Hans-Rudolf Boehmer schrieb in das Tagebuch: „In Demut und tiefer Trauer vor den Toten wollen wir aus der Vergangenheit lernen.“


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Bei einer Schiffsführung auf dem Zerstörer „Rommel“, organisiert für sowjetische Marineoffiziere, sollte auch ein Mannschaftsdeck besichtigt werden. Der deutsche Dolmetscheroffizier klopfte an und fragte, ob man einen Blick mit den sowjetischen Gästen hineinwerfen dürfte. Der Mannschaftsdecksälteste, ein Obergefreiter, stimmte zu. Daraufhin fragte ein sowjetischer Kapitän zur See, warum man denn angeklopft und gefragt habe, es seien ja dort doch „nur Matrosen“. Die Antwort des deutschen Offiziers war eindeutig. Der Matrose sei Bürger in Uniform und auch bei der Bundeswehr habe dieser diese Rechte und schließlich habe Lenin doch selbst gesagt: „Der Matrose ist der wichtigste Motor des Schiffes“. Betretenes Schweigen war die Antwort. Unter den Gleichen waren also bei der sowjetischen Marine doch nicht alle gleich. Mit der Bitte, als Vertreter der Politverwaltung der Baltischen Flotte, wandte sich der oben als Mitverfasser erwähnte Offizier der Baltischen Flotte an den Verbandsführer, ihm zu genehmigen, die Kriegsschiffe selbstständig anzuschauen und mit den Besatzungsangehörigen zu sprechen und ihm dazu einen begleitenden Offizier zu Verfügung zu stellen. Mit einer Genehmigung rechnete er überhaupt nicht oder man werde mit der Antwort ein oder zwei Tage abwarten, dachte er. Wie erstaunt war er aber als man ihm bereits nach 15 Minuten mitteilte, dass er am nächsten Morgen um 09.00 Uhr auf dem Hubschrauber-Landeplatz der „Niedersachsen“ von einem Kapitänleutnant erwartet werden würde, der ihn auf den deutschen Kriegsschiffen begleiten werde, damit er Antworten auf alle ihn interessierenden Fragen bekäme. Man traf sich pünktlich um 09.00 Uhr am Hubschrauber. Der oben erwähnte sowjetische Marineoffizier umriss gleich den Kreis seiner Interessen, wobei er sagte, dass ihn die Geschütze, Raketen, Torpedos und Hubschrauber nicht interessieren würden. Darüber könne man in Militärzeitschriften lesen. Aber das Leben der Besatzungen, die Organisation des Dienstes und den Tagesablauf würde er sich gerne ansehen bzw. anhören. Die Antwort war die gleiche: Die Führung hat erlaubt alles anzusehen, außer den Räumlichkeiten, auf denen „Betreten verboten“ auf jedem Kriegsschiff stand, beispielsweise den Chiffrier-Posten. Für einen Life-Umgang mit den Seeleuten bedurfte es keiner Genehmigung, dieses verstand sich von selbst. Man besichtigte die „Niedersachsen“, „Rommel“ und das Trossschiff „Coburg“, wie man so zu sagen pflegt, vom Kiel bis zur Toplaterne. Besichtigt wurde alles – die Kombüse, die Messen, Schlafräume der Mannschaften, die Kammern der Unteroffiziere und Offiziere, Lazarette und der Sanitätsbereich. Einen besonderen Eindruck machte auf den sowjetischen Offizier die makellose Ordnung, es herrschte auf jedem der Kriegsschiffe sogar eine gewisse Gemütlichkeit, wie er feststellen musste. Sehr interessant war es für ihn zu sehen, dass es auf der „Niedersachsen“ keine Bullaugen gab. Es zeigte sich, dass das Lebenssicherungssystem hier zu Lasten der Innenklimatisierung tätig war, wobei alle Schotten, die Türen in den Räumen an Bord nach dem Prinzip von Schleusen-Kammern montiert waren. Und natürlich war man zu diesen Zeiten von sowjetischer Seite darüber erstaunt, als man an Bord der Kriegsschiffe Flottenpfarrer sah, die die Besatzung bei jedem Einsatz begleiteten. Wahrscheinlich war es auch deren Verdienst, dass an Bord eine ruhige Atmosphäre geherrscht hatte. Außerdem wäre noch anmerken, dass weder die deutschen Marineoffiziere, noch die Matrosen eine besondere Hilfe von Dolmetschern beim Umgang mit den russischen Seeleuten benötigten. Der eine sprach ein wenig Deutsch oder Russisch, der andere bediente sich der Gesten-Sprache. So oder anders, beide Seiten verstanden sich prächtig und auch die Einwohner Leningrads konnten an diesen Tagen in den Straßen der Stadt kleinere Gruppen von Menschen in Marineuniformen sehen, die sich lebendig über irgendetwas unterhielten und zwar in einem erstaunlichen Sprachen-“Cocktail“. An den s.g. „OpenShip“-Tagen standen zum Besuch der Schiffe zeitweise Menschenschlangen von über 400 m vor den Schiffen. An den fast vier Besuchstagen besuchten die deutschen Schiffe täglich ca. 8.000 bis 8.500 sowjetische Menschen, das waren dann insgesamt ca. 35.000 Besucher. Darunter waren aber auch kleine Gruppen und einzelne Besucher aus der DDR, die diese Gelegenheit nutzen, um auf einem westdeutschen Schiff an Bord sein zu können. Die deutschen Marineangehörigen waren der einhelligen Meinung, dass man dieses Besucherinteresse noch in keinem Hafen erlebt habe, weder in Europa noch in den USA. Unter den Besuchern waren auch viele Veteranen des Zweiten Weltkrieges, in mit Orden und Auszeichnungen behangenen Jacken. Diese fragten immer wieder: „Jungens, warum kommt ihr erst jetzt? Ihr seid doch ganz anders! Nicht so, wie es die Propaganda uns immer geschildert hatte.“ Man hörte Sätze wie: „Den jungen Leuten darf man doch nicht die Verbrechen ihrer Väter an lasten.“ Es gab keine Vorwürfe oder Hassäußerungen, beide Seiten wollten die Versöhnung. Es wurde immer wieder gesagt: „Der Krieg ist die Vergangenheit, so etwas darf sich nicht wiederholen, ihr seid die neue Generation, wir müssen alle gemeinsam in die Zukunft schauen, darum kommt öfter und besucht uns.“ Der Abschiedsabend an Bord der Fregatte „Niedersachsen“ endete mit Rosen für die Damen und dem traditionellen „Hängemattenwalzer“. Die Deutschen standen schunkelnd eingehakt mit den Russen in bunter Reihe. Die Melodie traf die Seelen der Soldaten beider Völker. Die Deutschen waren überwältigt von der ihnen durch die Russen entgegen gebrachten Herzlichkeit. Am 16. Oktober 1989 verließ der Verband das gastfreundliche Leningrad. Viele Leningrader waren zum Abschied gekommen, denn in den vergangenen über drei Tagen wurden manche Freundschaften geschlossen und Ressentiments auf beiden Seiten ausgeräumt. Am 16. Oktober 1989, um 14.00 Uhr MSK, im Finnischen Meerbusen, noch in sowjetischen Hoheitsgewässern, stoppte der Verband auf Befehl des Verbandsführers Flottillenadmiral H.-R. Boehmer auf und es fand eine, mit der sowjetischen Seite, d.h. mit Admiral V.A. Samoylov, vorher abgesprochene, schlichte Gedenkfeier für alle im Zweiten Weltkrieg vor Leningrad gefallenen deutschen Soldaten statt. Denn in Leningrad gab es keinen Platz, an dem der gefallenen deutschen Soldaten gedacht werden konnte. Die Bundesdienstflagge wurde auf allen Schiffen des Verbandes auf Halbmast gesetzt, der Wimpel „Gottesdienst an Bord“ wurde gesetzt, die Besatzungen waren an Oberdeck angetreten, die Kommandanten hielten eine kurze Ansprache, die mit einem gemeinsam gesprochenem „Vater unser...“ endete. Der Trompeter auf der „Coburg“ spielte das Lied vom „Guten Kameraden“. Tief bewegt gingen anschließend alle schweigend unter Deck. Dieses war der würdige Abschluss eines wirklichen Freundschaftsbesuchs, der alle mit großen Eindrücken in die Heimat zurückkehren ließ. An die Tage in Leningrad werden alle noch lange zurückdenken, sie werden unvergesslich bleiben. Es war der Beginn einer freundschaftlichen Beziehung, denn wenn Soldaten miteinander reden, lernen sie voneinander, Feindbilder werden abgebaut und man dient gemeinsam der Erhaltung des Friedens. Am 18. Oktober 1989 erfuhren die Besatzungen auf Höhe der Insel Rügen aus dem DDR-Radio, dass Staats- und Parteichef Erich Honnecker, nach anhaltenden Massenprotesten in der gesamten DDR, zurückgetreten sei und der neue Nachfolger Egon Krenz heißen würde. Keiner an Bord der Richtung Heimat laufenden Kriegsschiffe konnte es glauben, dass es in diesen ein paar Tagen in Leningrad zu solchen Umwälzungen in der DDR gekommen sei.


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Dieses Ereignis des Ersten deutschen Flottenbesuchs in der Sowjetunion wurde auch bezüglich seiner Geschwindigkeit als historisch angesehen. Erstens war es ja auch ein Besuch von NATO-Kriegsschiffen. Bisher trafen sich die sowjetischen Seeleute und Militärangehörigen nur mit Seeleuten der Volksrepublik Polen und der DDR, die zum Bestand der Vereinigten Ostseeflotte des Warschauer Vertrages gehörten. Zweitens, zu Besuch kamen Kriegsschiffe des Deutschlands, das im XX. Jahrhundert das Antlitz des Initiators des blutigsten Krieges verkörperte und in vielen Ländern Europas blieb noch ein äußerst feindseliges Verhalten diesem Staat gegenüber erhalten. Drittens, der Besuch der westdeutschen Kriegsschiffe fand in einer Stadt statt, die am meisten unter dem Faschismus in der Zeit der Blockade gelitten hatte. Die deutschen Offiziere und Matrosen bewegte und beunruhigte ganz besonders die Frage, wie sich ihnen gegenüber die Einwohner Leningrads verhalten würden. Der Besuch aber zeigte, dass man sich freundschaftlich in die Augen sehen konnte.

Bis zum Fall der Berliner Mauer verblieben buchstäblich nur noch Tage, die man zählen konnte, zur Wiedervereinigung beider Deutschlands verblieb noch rund ein Jahr. Damals ahnte niemand, dass so eine Wiedervereinigung im Prinzip möglich sein würde, obwohl der „Wind der Perestrojka“ ständig die unerwartetsten Überraschungen und das sowohl in der Innen- als auch Außenpolitik der Sowjetunion mit sich brachte. Deswegen wurde der Besuch deutscher Kriegsschiffe als Zeichen der Veränderungen in den gegenseitigen Beziehungen nicht nur in den militärischen Strukturen, sondern auch in den beiden Staaten insgesamt, angesehen. In den 1990-er Jahren und weiter folgte dann eine Reihe von weiteren Besuchen auf den verschiedensten Ebenen, aber dieser Besuch war der Erste. Während dieses Flottenbesuchs wurden natürlich keinerlei internationale Vereinbarungen unterzeichnet, aber der lebendige freundschaftliche Umgang half das Eis des Misstrauens zu schmelzen. Gerade nach dem Besuch der Marinebasis Leningrad durch die westdeutschen Kriegsschiffe haben sich die Kontakte, sowohl die politischen als auch die menschlichen, erheblich gefestigt und bereits ein Jahr später, im Juni 1990, waren die Fregatte „Neukrotimyj“ (Krivak II, PTNR 731) und der Zerstörer „Bystryy“ (Sovremennyy, PTNR 676) der Baltischen Flotte zu einem Gegenbesuch in Kiel. Anfang der 1990-er Jahre wurden die Kriegsschiffe der Baltischen Flotte zu gleichberechtigten Teilnehmern internationaler Übungen, die durch die NATO-Staaten durchgeführt wurden. Im Juni 1991 erfolgte der erste deutsche und NATO-Kriegsschiffs-Besuch in dem ehemaligen deutschen Hafen Pillau, dem jetzigen Baltijsk. Und die damals begonnen gegenseitigen Besuche finden bis zum heutigen Tage ihre Fortsetzung. Und davon, dass man auch in Deutschland bis jetzt den Besuch als historisch ansieht, zeugen die Zeilen des Schreibens von Vizeadmiral a.D. Hans-Rudolf Boehmer, die dieser an den ehemaligen Befehlshaber der Baltischen Flotte Admiral Wladimir Jegorow gerichtet hatte: „In diesen Tagen jährt sich zum 20. Male ein besonderes Ereignis in der Geschichte unserer Marinen. Wir waren damals tief beeindruckt von dem überall empfundenen Wunsch Ihrer Marinesoldaten und der Bevölkerung Leningrads mit uns Deutschen neue, freundschaftliche, auf die Zukunft gerichtete Beziehungen aufzubauen. Die freundschaftlich ausgestreckten Hände, die wir damals ergreifen durften und die Lieder, die wir gemeinsam gesungen haben, sind nicht vergessen … Es bleibt nur den damals begonnen Weg der Freundschaft fortzusetzen. Er ist sowohl vor dem Hintergrund unserer Geschichte, als auch mit Blick auf unsere Optionen in der Zukunft ohne Alternative“. Der ehemalige Befehlshaber der Baltischen Flotte, Admiral Wladimir G. Jegorow, antwortete darauf mit den Worten: „Ich betrachte Ihre an mich persönlich gerichteten Zeilen, anlässlich des 20. Jahrestages dieses Ersten deutschen Kriegsschiffsbesuchs, als ein wichtiges und gutes Zeichen des Andenkens und der Achtung der gemeinsamen Geschichte unseren beiden Seestreitkräften gegenüber. Dieses Ereignis hat im wahrsten Sinne des Wortes das Eis der Spannungen in den Beziehungen der beiden Flotten in der Ostsee zum Schmelzen gebracht. Wir haben aufgehört auf einander durch die Fadenkreuze der Zielfernrohre zu schauen. Wir haben einander die Hände der Freundschaft und des gegenseitigen Verständnisses entgegen gestreckt und unserem Beispiel sind andere gefolgt. Unsere ersten und anfangs möglicherweise auch noch scheuen friedliebenden aufeinander zugehenden Schritte, fanden ihre Entwicklung in den nachfolgenden gegenseitigen Besuchen und solchen Unternehmungen, wie den gemeinsamen Übungen in der Ostsee, fanden ihre Stärkung in den politischen Entscheidungen der Führungen unserer Länder. Es sind insgesamt nur 28 Jahre nach dem Ersten Besuch deutscher Kriegsschiffe vergangen. Im Jahr 2010 werden 20 Jahre seit dem Ersten Besuch von Kriegsschiffen der Baltischen Flotte in Kiel vergangen sein. Die Geschichte unserer Beziehungen zeigt, dass wir uns an diese historischen Ereignisse erinnern und diese auch richtig bewerten. Besonders angenehm ist es wahrzunehmen, dass unsere ehemaligen Untergebenen, die Teilnehmer dieser Ereignisse, die Traditionen fortsetzen, deren Grundlage in Leningrad vor 28 Jahren gelegt worden ist. Und auch wir haben persönlich einen bedeutenden Anteil an diesen Prozessen, die heute bereits zu einer offensichtlichen Angelegenheit geworden sind.“

Zurückblickend, können wir, die Angehörigen unserer beider Marinen, die Augenzeugen und Zeitzeugen dieses geschichtlichen Ereignisses, des Ersten deutschen Flottenbesuchs seit Zaren-Zeiten in Russland bzw. der Sowjetunion gewesen waren, mit Stolz sagen, dass wir diese schwierige Aufgabe, nach den tragischen Ereignissen des Zweiten Weltkrieges, der freundschaftlichen Kontaktaufnahme, auf beiden Seiten mit Würde erfüllt haben. Meere und Schiffe verbinden Staaten und Menschen, Panzer kommen hingegen nie zu Besuch!


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Dieser Erste Besuch von Kriegsschiffen der Bundesmarine in der ehemaligen Sowjetunion war ein wahrer „Eisbrecher“ in den Beziehungen dieser beiden größten Staaten in Europa. Für die Zukunft Europas haben diese Beziehungen zwischen Deutschland und Russland eine besondere Bedeutung. Die uns Deutsche und Russen verbindende Klammer hat ihre Form zwar geändert, aber sie ist unvermindert da, wir alle haben es damals gespürt. Wir, Deutsche und Russen, haben mit diesem Besuch dazu beigetragen, dass diese Beziehungen in Freundschaft und auf einer neuen Grundlage beginnen und fortgesetzt werden konnten.


Übersetzung aus der russischen Sprache:


Erschienen im Zentralen Organ des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation „Krasnaja Svezda“ (Roter Stern) am Mittwoch, den 21. Oktober 2009.

„ROTER STERN“ Baltischer Vektor

Dieser denkwürdige Besuch

von Svetlana Belotskaja

Am 13. Oktober sind genau 20 Jahre seit dem ersten Besuch in der Geschichte der Seestreitkräfte der Bundesrepublik Deutschland in die Sowjetunion vergangen. Der vorhergehende offizielle Besuch deutscher Kriegsschiffe in Russland fand im Jahr 1912 statt.

Ein kleiner Exkurs in die Vergangenheit lässt die Schlussfolgerung zu, dass die Geschichte der gegenseitigen Beziehungen der beiden Flotten nicht als reich bezeichnet werden kann. Zwei Jahre nach dem Besuch deutscher Ausbildungskreuzer in Russland im Jahr 1912, besuchte 1914, im Rahmen eines Gegenbesuchs, der russische Kreuzer "Oleg" Kiel und dann brach der Erste Weltkrieg aus und setzte für einen bestimmten Zeitraum ein Kreuz auf der Marinefreundschaft zwischen Russland und Deutschland. Richtig ist, dass 1929 zwei sowjetische Kriegsschiffe (die Zerstörer des Typs "Nowik", die zu dieser Zeit die Namen "Lenin" und "Rykov" trugen) zu einem Besuch in Deutschland waren und zwar in Pillau (jetzt Baltijsk, Gebiet Kaliningrad, Hauptbasis der Baltischen Flotte). Damit brach die Geschichte der Freundschaftskontakte der beiden Flotten ab.

Und dann nach 77 Jahren der Konfrontation, nach zwei Weltkriegen, wurde im Oktober 1989 in der Marinebasis Leningrad der Beginn neuer Beziehungen zwischen den zwei Flotten und zwei Mächten gesetzt.

Seine Erinnerungen an dieses Ereignis teilt mit den Lesern der Zeitung "Roter Stern" der Teilnehmer an diesem Besuch, Kapitän zur See Vadim Gasisov.

- Vadim Salinchanowitsch (Gasisov), in welcher Lage fand dieser Besuch statt?


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- Die Lage am Vorabend des Besuchs war im vollen Sinne des unter Militärs üblichen Begriffs "schwierig und angespannt". Man darf dabei nicht vergessen, dass in den 1980-er Jahren, besonders betrifft dieses deren zweite Hälfte, der "Kalte Krieg" im vollen Gange war und man diese Jahre auch fast als Höhepunkt des "Kalten Kriegs" bezeichnen könnte. Wenn dieses an Land nicht so stark zu merken war, so verspürte man dieses auf den Meeren und Ozeanen sehr scharf. In der Ostsee fanden ständig Übungen sowohl der nationalen Flotten der Ostseeanliegerstaaten, als auch der vereinigten Seestreitkräfte der NATO-Staaten, statt. Mitte der 1980-er Jahre führte im Seegebiet um Bornholm ein Übungsschießen eines der Linienschiffe der US-amerikanischen Flotte, die "Iowa", durch. Ausgerüstet war dieses Kriegsschiff übrigens, außer mit mächtigen Artilleriegeschütz-Anlagen mit einem sehr großem Kaliber, auch noch mit Marschflugkörpern. Ständig hielt sich in der Ostsee ein operativer Kriegsschiff-Verband der NATO auf und regelmäßig lösten sich bei ihrer ständigen Wachtätigkeit Aufklärungsschiffe und Aufklärungsflugzeuge ab.

Als Teilnehmer vieler Übungen in der damaligen Zeit kann ich sagen, dass es nicht ohne Zwischenfälle abging, es kam dabei auch zu ernsthaften Zwischenfällen. Besonders ist in meinem Gedächtnis ein Zwischenfall haften geblieben, der während der gemeinsamen Übungen von Kriegsschiffseinheiten des Warschauer-Vertrages unweit der Küste des Gebietes Kaliningrad passierte. Im Juni 1987 wurde das deutsche Kriegsschiff "Neckar" Bordgeschützen eines polnischen Kriegsschiffes beschossen, die "Neckar" trug ernsthafte Beschädigungen davon und ein paar Besatzungsangehörige wurden mit schweren Verletzungen mit Hubschraubern nach Deutschland geflogen. Dieses konnte ja praktisch zum Vorwand für den Beginn von Gegenmaßnahmen werden.

Ohne zu übertreiben kann gesagt werden, dass in diesem Augenblick beide Seiten aufeinander durch die Fadenkreuze geschaut haben. Das Feindbild oder in der russischen Sprache "obraz wraga", dominierte in allen Sphären der zwischenstaatlichen Beziehungen. Dieses fand auch in der Militärpolitik seinen Widerhall.

Jedoch Ende der 1980-er Jahre, als alles in Richtung von Wandel in den Beziehungen und auf Entspannung ging, wurde diese Situation nicht nur unerträglich, sondern auch widernatürlich. Die Staaten begannen mit friedliebenden Schritten aufeinander zu zu gehen. 1988 wurden die Vereinbarungen zur Vermeidung von Zwischenfällen auf See außerhalb der Territorialgewässer verabschiedet. Im Frühjahr 1989 besuchte der Oberbefehlshaber der sowjetischen Seekriegsflotte, Admiral der Flotte W.N. Tschernawin, Deutschland und im Mai weilte zu einem Gegenbesuch in Moskau und Leningrad der Generalinspekteur der Bundeswehr, Admiral Dieter Wellershof. Offensichtlich wurden gerade in diesem Zeitraum Entscheidungen zu einer grundlegenden Änderung der Beziehungen in der militärischen Sphäre getroffen. Zur Grundlage der friedliebenden Politik auf dem Gebiet der Militärbeziehungen wurden gerade die Seestreitkräfte. Denn mit Panzern kommt man ja nicht zu Besuch, aber Besuche von Kriegsschiffen in anderen Staaten bei zwischenstaatlichen Beziehungen werden schon seit langem praktiziert.

- Es ist bekannt, dass die Besatzungsstärke der nach Leningrad im Oktober 1989 gekommenen deutschen Kriegsschiffe ungefähr 650 Mann betrug. Und was waren dieses für Kriegsschiffe?

- Dieses waren der Zerstörer "Rommel", die Fregatte "Niedersachsen" und das Trossschiff "Coburg". Befehligt wurde der Verband durch Flottillenadmiral Hans-Rudolf Boehmer, zu dieser Zeit Kommandeur der Zerstörer-Flottille, der in der Folgezeit Inspekteur der Marine der Bundesrepublik Deutschland (Oberbefehlshaber) wurde. Gastgeber des Besuchs, das heißt der empfangenden Seite, war die Marinebasis Leningrad, die zu dieser Zeit durch Admiral Samojlow befehligt wurde.

- Heute reden wir von der historischen Bedeutung dieses ersten in der Nachkriegsgeschichte Besuchs. Wie aber wurde dieses vor 20 Jahren bewertet?

- Dieses Ereignis wurde auch bezüglich seiner Geschwindigkeit als historisch angesehen. Erstens, der Besuch von NATO-Kriegsschiffen. Bisher trafen sich unsere Seeleute und Militärangehörigen nur mit Seeleuten der Volksrepublik Polen und der DDR, die zum Bestand der Vereinigten Ostseeflotte des Warschauer Vertrages gehörten. Zweitens, zu Besuch kamen Kriegsschiffe des Deutschlands, das im XX. Jahrhundert das Antlitz des Initiators des blutigsten Krieges verkörperte und in vielen Ländern Europas blieb noch ein äußerst feindseliges Verhalten diesem Staat gegenüber erhalten. Drittens, der Besuch der westdeutschen Kriegsschiffe fand in einer Stadt statt, die am meisten unter dem Faschismus in der Zeit der Blockade gelitten hatte. Übrigens, wie ich später während des Umgangs mit deutschen Offizieren und Matrosen erfahren hatte, bewegte und offen gesagt, beunruhigte sie ganz besonders die Frage, wie sich ihnen gegenüber die Einwohner Leningrads verhalten würden.

Bis zum Fall der Berliner Mauer verblieben buchstäblich nur noch Tage, die man zählen konnte, zur Wiedervereinigung beider Deutschlands verblieb noch rund ein Jahr. Damals ahnte niemand, dass so eine Wiedervereinigung im Prinzip möglich sein würde, obwohl der "Wind der Perestrojka" ständig die unerwartetsten Überraschungen und das sowohl in der Innen- als auch Außenpolitik unseres Landes mit sich brachte. Deswegen wurde der Besuch deutscher Kriegsschiffe als Zeichen der Veränderungen in den gegenseitigen Beziehungen nicht nur in den militärischen Strukturen, sondern auch in unseren Staaten insgesamt, angesehen. In den 1990-er Jahren und weiter folgt dann eine Serie von weiteren Besuchen auf den verschiedensten Ebenen, aber dieser Besuch war der erste. Wissen Sie, der erste Besuch ist wie ein erster Eindruck: Man kann diesen nicht mehr wiederholen.

- Wie haben denn dann die Einwohner Leningrads die westdeutschen Kriegsschiffe empfangen?


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- Sehr gastfreundlich. Die Befürchtungen der deutschen Seeleute waren umsonst. Es muss gesagt werden, dass auch die deutsche Seite sich sehr angestrengt hatte. Im Verlauf des gesamten Besuchs wurde zu bestimmten Zeiten der Besuch der deutschen Kriegsschiffe organisiert und Menschen, die sich an Bord der Kriegsschiffe begeben wollten, gab es sehr viele. Die Schlange begann unmittelbar an der Umzäunung des Seebahnhofes und verlief weit hinaus über den Seeboulevard. Die Verbandsführung verlängerte die Besuchszeiten manchmal um eine ganze Stunde. Länger konnte man es nicht tun, schon wegen der Bordroutine und den Vorbereitungen für andere Veranstaltungen des Besuchs, die ständig an Bord stattfanden. Die Deutschen haben diese Veranstaltungen sehr ernst genommen. Es wurde alles getan, damit der Besuch in einer freundschaftlichen, höflichen und aufmerksamen Atmosphäre stattfand. Es waren interessante Souvenire zum Andenken vorbereitet worden, die an der Stelling in bunten Plastiktüten verteilt wurden. Außer diesen Dingen hatten die deutschen Smutjes frische essbare Brötchen gebacken, die deutsch "Schweineohren" hießen. Diese Brötchen standen an den Wegen auf denen sich die Besucher durch das Schiff bewegten und die Besucher konnten sich hier direkt an diesen laben. Es gab so viele Besucher, dass ich ein paar Mal die administrative Ressource nutzen musste, um über die dienstliche Stelling auf die Kriegsschiffe mir bekannte Offiziere, die damals in Leningrad wohnten und dienten, führen zu können. Die akkuraten Deutschen zählten, dass sie täglich 8.000 bis 8.500 Besucher an Bord gelassen hatten, das waren also dann insgesamt 35.000 Menschen während der ganzen Besuchstage.

- Welche gemeinsamen Veranstaltungen fanden noch während des Aufenthalts der deutschen Kriegsschiffe in Leningrad statt?

- Es fanden sehr viele protokollarische Besuche, Treffen, Sportwettbewerbe, Exkursionen und Abendveranstaltungen statt. Man könnte über diese viel und lange erzählen. Es gab aber auch solche, die beiden Seiten noch sehr lange, wenn nicht sogar fürs ganze Leben, im Gedächtnis haften geblieben sind. Dieses war in erster Linie der Besuch durch eine offizielle deutsche Delegation des "Piskarjowskij"-Friedhofes und die Kranzniederlegung. Natürlich, die Besatzungen wurden darüber informiert, dass während der Belagerung der Stadt und der fast dreijährigen faschistischen Blockade die Viermillionenstadt über eine Million Einwohner verloren hatte. Sie wussten, dass auf dem "Piskarjowskoje"-Friedhof über eine halbe Million während der Blockade gestorbene Einwohner Leningrad beerdigt lagen. Aus den Gesprächen mit den deutschen Offizieren konnte man entnehmen, dass sie besonders bewegte, wie sich diesem Besuch gegenüber die Veteranen und Blockadeteilnehmer, die diesen für jeden Leningrader Bürger heiligen Ort ständig aufsuchen, verhalten würden. Die Kranzniederlegung verlief so, wie es niemand erwartet hatte. Gleich nachdem die deutschen Seeleute den Kranz niedergelegt hatten und Admiral Boehmer im Gedenkbuch einen Eintrag vorgenommen hatte, begannen an die Deutschen Leningrader Bürger heranzutreten. Viele von ihnen weinten, sprachen davon, dass auf dieser Erde, aber auch überall auf der Erde, es keine Kriege mehr geben dürfe. Man konnte keinerlei Anzeichnen von Feindseligkeit oder Aggressivität beobachten.

Außer der Teilnahme an offiziellen Veranstaltungen, habe ich mir die Aufgabe gestellt mir anzusehen, wie die Seeleute der Marine der Bundesrepublik Deutschland leben. In diesem Augenblick konnte ich mir weder in Gedanken noch in Fantasien vorstellen, dass ich in den folgenden Jahren auf Kriegsschiffen und U-Booten der deutschen Flotte, praktisch aller Typen und Klassen, werde weilen können, mich mit deutschen Marineangehörigen und sogar den Befehlshabern der Bundesmarine treffen werde können. Bislang konnte ich die Kriegsschiffe der westdeutschen Flotte nur während der Übungen von der Seite aus beobachten. Obwohl ich mich ja mit den verschiedensten Quellen vertraut gemacht hatte und mir Fotos angesehen hatte. Aber selbst auf so einem Kriegsschiff zu sein, das war mir noch nicht gelungen. Und nun stand mir der selbstständige Besuch eines westdeutschen Kriegsschiffes bevor. Wie man so zu sagen pflegt, ich ging in die "Höhle des Gegners".


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Mit der Bitte mir den Besuch, als Vertreter der Politverwaltung der Baltischen Flotte, zu genehmigen, die Kriegsschiffe selbstständig anzuschauen und mit den Besatzungsangehörigen zu sprechen und mir dazu einen mich begleitenden Offizier zu Verfügung zu stellen, habe ich mich an den Verbandsführer gewandt. Ehrlich gesagt, ich habe gedacht, die werden mir es entweder überhaupt nicht genehmigen oder mit der Antwort ein oder zwei Tage abwarten. Wie erstaunt war ich aber als man mir bereits nach 15 Minuten mitteilte, dass bereits morgen um 09.00 Uhr auf mich auf dem Hubschrauber-Landeplatz der "Niedersachsen" Kapitänleutnant Sven Müller-Otte warten werde, um mich auf den deutschen Kriegsschiffen zu begleiten und um Antworten auf alle meine Fragen zu bekommen. Wir trafen uns um 09.00 Uhr mit Sven Müller-Otte am Hubschrauber, machten uns bekannt. Ich umriss gleich den Kreis meiner Interessen, wobei ich sagte, dass mich die Geschütze, Raketen, Torpedos und Hubschrauber nicht interessieren würden. Darüber könne man in Militärzeitschriften lesen. Aber das Leben der Besatzungen, die Organisation des Dienstes und den Tagesablauf würde ich mir gerne ansehen bzw. anhören. Die Antwort war die gleiche: Die Führung hat erlaubt alles anzusehen, außer den Räumlichkeiten, auf denen "Betreten verboten" auf jedem Kriegsschiff stand, beispielsweise den Chiffrier-Posten. Für einen Life-Umgang mit den Seeleuten bedurfte es keiner Genehmigung, dieses verstand sich von selbst. Wir gingen über die "Niedersachsen", "Rommel" und das Trossschiff "Coburg", wie man so zu sagen pflegt, vom Kiel bis zur Toplaterne. Wir besichtigten alles - die Kombüse, die Messen, Schlafräume der Mannschaften, die Kammern der Unteroffiziere und Offiziere, Lazarette und den Sanitätsbereich. Offen gesagt, einen besonderen Eindruck machte auf mich die makellose Ordnung, es herrschte auf jedem der Kriegsschiffe sogar eine gewisse Gemütlichkeit. Sehr interessant war es zu sehen, dass es auf der "Niedersachsen" keine Bullaugen gab. Es zeigte sich, dass das Lebenssicherungssystem hier zu Lasten der Innenklimatisierung tätig war, wobei alle Schotten, die Türen in den Räumen an Bord nach dem Prinzip von Schleusen-Kammern montiert waren. Und natürlich zu diesen Zeiten waren wir darüber erstaunt, als wir an Bord der Kriegsschiffe Flottenpfarrer erblickten, wobei sie alle über den Status eines Oberoffiziers verfügten und die Besatzung bei jedem Einsatz begleiteten. Wahrscheinlich war es auch deren Verdienst, dass an Bord eine ruhige Atmosphäre geherrscht hatte.

Außerdem möchte ich noch anmerken, dass weder die Offiziere, noch die Matrosen eine besondere Hilfe von Dolmetschern beim Umgang mit den russischen Seeleuten benötigten. Der eine sprach ein wenig Deutsch oder Russisch, der andere bediente sich der Gesten-Sprache. So oder anders, beide Seiten verstanden sich prächtig und auch die Einwohner Leningrads konnten an diesen Tagen in den Straßen der Stadt kleinere Gruppen von Menschen in Marineuniformen sehen, die lebendig sich über irgendetwas unterhielten und zwar in einem erstaunlichen Sprachen-"Cocktail". Übrigens, die deutschen Marineangehörigen haben es wirklich geschafft sich die Stadt an der Newa anzusehen und dabei sogar zu Gast bei den Familien ihrer russischen Kameraden zu weilen.


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Natürlich versuchte man während dieses fast viertägigen Besuchs den deutschen Seeleuten die bedeutendsten Sehenswürdigkeiten Leningrad zu zeigen. So waren sie in der Eremitage, im Russischen Museum, sie besuchten Petrodworets und Puschkin. Ich erinnere mich an die erstaunten Gesichter der Deutschen im Katharinen-Palast und ich erinnere mich an ihre nachdenklichen Gesichter, als sie sahen wie Peterhof im Jahre 1945 ausgesehen hatte. Was sie dabei dachten, kann ich aber nur mutmaßen...

Und außer diesen bereits erwähnten Dingen ist bei vielen bestimmt im Gedächtnis auch das Fußballspiel haften geblieben, das die Mannschaften der angekommenen Kriegsschiffe und der Marinebasis Leningrad mit einem "diplomatischen" Ergebnis von 3 : 3 beendeten.

- Vadim Salinchanowitsch (Gasisov), was war Ihrer Meinung nach das Hauptergebnis des Besuchs und erinnert man sich an diesen auch noch im heutigen Deutschland?

- Während dieses Treffens wurden natürlich keinerlei internationale Vereinbarungen unterzeichnet, aber der lebendige freundschaftliche Umgang half das Eis des Misstrauens zu schmelzen. Gerade nach dem Besuch der Marinebasis Leningrad durch die westdeutschen Kriegsschiffe haben sich die Kontakte, sowohl die politischen als auch die menschlichen, erheblich gefestigt und bereits ein Jahr später waren die Fregatte "Neukrotimyj" und der Zerstörer "Bystryj" der Baltischen Flotte zu einem Gegenbesuch in Kiel. Anfang der 1990-er Jahre wurden die Kriegsschiffe der Baltischen Flotte zu gleichberechtigten Teilnehmern internationaler Übungen, die durch die NATO-Staaten durchgeführt wurden.

Und davon, dass man auch in Deutschland bis jetzt den Besuch als historisch ansieht, zeugen die Zeilen des Schreibens von Vizeadmiral a.D. Hans-Rudolf Boehmer, die dieser an den ehemaligen Befehlshaber der Baltischen Flotte Admiral W. Jegorow gerichtet hatte: "In diesen Tagen jährt sich zum 20. Male ein besonderes Ereignis in der Geschichte unserer Marinen. Wir waren damals tief beeindruckt von dem überall empfundenen Wunsch Ihrer Marinesoldaten und der Bevölkerung Leningrads mit uns Deutschen neue, freundschaftliche, auf die Zukunft gerichtete Beziehungen aufzubauen. Die freundschaftlich ausgestreckten Hände, die wir damals ergreifen durften und die Lieder, die wir gemeinsam gesungen haben, sind nicht vergessen … Es bleibt nur den damals begonnen Weg der Freundschaft fortzusetzen. Er ist sowohl vor dem Hintergrund unserer Geschichte, als auch mit Blick auf unsere Optionen in der Zukunft ohne Alternative".


- Vielen Dank, Vadim Salainchanowitsch (Gasisov). Natürlich haben während des Besuchs beide Staaten sich darum bemüht, sowohl die Macht ihrer Flotten zu demonstrieren, aber nur deswegen, um zu unterstreichen: Jegliche, sogar die noch so bedrohliche Militärtechnik wird von Menschen bedient, und diese, wenn sie es wollen, können immer eine gemeinsame Sprache finden.


Übersetzung: Dolmetscheroffizier Kapitänleutnant a.D. Bernhard W. Mroß, 24955 Harrislee/Schleswig-Holstein.


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