Die Reichsmarine in der Weimarer Republik und die Auseinandersetzung um den Bau des Panzerschiffs A

Verfasst von Urs Heßling

Vorbemerkung

Um die Schärfe der Auseinandersetzung und die Kontrahenten besser verstehen zu können, erscheint mir eine genaue und ausführliche Darstellung der Vorgeschichte, die einen zum eigentlichen Thema vergleichsweise großen Raum einnehmen wird, unumgänglich.


1. Die Reichsmarine in den Anfängen der Weimarer Republik (1919-22)

Die Niederlage im 1. Weltkrieg führte im Deutschen Reich nicht nur zum Ende der Monarchie und der Staatsform der Republik, sondern auch zu dem als Diktat und Schande empfundenen Friedensvertrag von Versailles. Die darin enthaltenen Bestimmungen zum Abtreten von Gebieten, Wiedergutmachungszahlungen und der Anerkennung der alleinigen Kriegsschuld waren Stoff für unzählige Debatten und Veröffentlichungen. – und sie waren für die Regierungen der jungen Republik eine schwere Hypothek. Sie können als ein Nährboden der Entwicklungen in Deutschland gesehen werden, die zum Nationalsozialismus und zum 2. Weltkrieg führen sollten.
Ein wesentlicher Teil des Vertrags betraf die Verringerung der deutschen militärischen Stärke auf ein Minimum. Die allgemeine Wehrpflicht wurde verboten, die Personalstärke des Heeres wurde auf 100.000 festgesetzt. Moderne Waffensysteme, z.B. Flugzeuge und Panzer, waren nicht erlaubt. Für die Reichsmarine waren als Höchstzahlen festgelegt:

  • - Gesamtstärke maximal 15.000 Mann
  • - 6 alte Linienschiffe, Ersatzbauten mit max. 10.000 Tonnen Wasserverdrängung
  • - 6 kleine Kreuzer, Ersatzbauten mit max. 6.000 Tonnen Wasserverdrängung
  • - 12 Zerstörer, Ersatzbauten mit max. 800 Tonnen Wasserverdrängung
  • - 12 Torpedoboote, Ersatzbauten mit max. 200 Tonnen Wasserverdrängung
  • - einige Hilfsschiffe

Selbstversenkung SMS Bayern

Der Bau oder Besitz von Unterseebooten war verboten. Die genannten Ersatzbauten waren erst bei einem Dienstalter von 20 Jahren bei den Linienschiffen und Kreuzern und 15 Jahren bei den kleineren Einheiten erlaubt. Fast alle modernen, zum großen Teil im britischen Flottenstützpunkt Scapa Flow internierten Einheiten sollten in den Besitz der Siegermächte übergehen. Um dies zu verhindern und um einem vor allem durch die Marinemeutereien fragwürdig gewordenen Begriff von Ehre Genüge zu tun, wurden im Juni 1919 diese Schiffe von ihren deutschen Besatzungen selbst versenkt.
Dies hatte harte, wenig bekannte Konsequenzen: auch die letzten dem Reich verbliebenen 5 modernen kleinen Kreuzer und viel schwimmendes Gerät wie z.B. Docks mußten an die Alliierten abgeliefert werden.

In der Folgezeit stellte sich heraus, daß nicht die erwähnten Schiffszahlen, sondern die vorgeschriebene Personalstärke die wahre Begrenzung darstellten. Bei der notwendigen ausgeglichenen Besetzung von Schiffen einerseits und Landdienststellen wie Unterstützungseinrichtungen, Schulen, Behörden und vor allem Küstenschutzabteilungen andererseits gelang es nie, mehr als 4 Linienschiffe, 5 Kreuzer und 20 Torpedoboote gleichzeitig im Fahrbetrieb zu halten.


Royal Navy in der Ostsee 1919

Es waren aber nicht die materiellen Schwierigkeiten, die der Marineführung anfangs die größten Sorgen bereiteten. Das Innere Gefüge der Truppe war durch die von den Matrosen in Kiel mit ausgehende Revolution zutiefst erschüttert. Monatelang bestimmte der „53er“-Matrosenrat die Entscheidungen mit. Erst durch die Verabschiedung des Gesetzes über die vorläufige Reichsmarine im März 1919 wurde die Kommandogewalt wieder klar strukturiert. Bei den Friedensverhandlungen in Versailles waren die Vertreter der deutschen Regierung sogar bereit gewesen, ganz auf eine Marine zu verzichten, um eine Milderung anderer Vertragsbedingungen zu erreichen. Die Alliierten hatten jedoch auf ihrer Beibehaltung bestanden. In Nord- und Ostsee mußten noch viele der im Krieg gelegten Minenfelder geräumt werden (ein Vergleich zur Situation im Jahre 1945 mit der Bildung der GMSA und LSU drängt sich auf), und zur Flotte der gerade entstandenen Sowjetunion in der Ostsee, gegen die die Engländer in dieser Zeit selbst einen – im Juni 1919 intensiven - Seekrieg führten, war ein Gegengewicht wünschenswert.
Das Minenräumen war auch gemäß dem erwähnten Reichsgesetz vom März 1919 eine der Hauptaufgaben der Marine. Daher wurde das Gesetz ohne großen Widerspruch der gegen die Marine eingestellten Parteien – von ihnen wird noch die Rede sein – gebilligt. Außerdem waren noch Küsten- und Fischereischutz, die Unterstützung der Handelsflotte und hydrographische Aufgaben aufgeführt. Eigentliche Marineaufgaben wie die Repräsentation und das Vertreten deutscher Interessen im Ausland und der Schutz von Seeverbindungen waren nicht erwähnt.


Marinebrigade Ehrhardt Berlin

Schon zuvor, im Januar 1919, hatte die Marine ihren ersten, für die Zukunft bedeutsamen Einsatz gehabt, aber an Land, in Berlin. Die teils aus eigener Initiative, teils auf Betreiben des Reichswehrministers Noske (SPD) aufgestellten Marinebrigaden „v. Loewenfeld“ in Kiel und „Ehrhardt“ in Wilhelmshaven hatten entscheidenden Anteil an der Niederschlagung des kommunistischen „Spartakus“-Aufstands in der Hauptstadt und weitere, folgender Aufstände im ganzen Reichsgebiet. Das teilweise brutale Vorgehen der Brigadeangehörigen im Straßenkampf war nicht nur ein Zeichen des auf der Erinnerung an die „Schande“ der Matrosenmeutereien beruhenden Antikommunismus in der Marine. Schlimmer war die sich auf Befehle berufende, unreflektierte Mißachtung des Rechts unter Berufung auf eine personenbezogene „Führer-Loyalität“, die besonders für die Brigade Ehrhardt typisch war. Ein Jahr später, im März 1920, trat dies bei der Beteiligung der Brigade am Kapp-Putsch zum Sturz der Regierung vollends zutage.

Bedenklich war allerdings auch die Haltung der Marineführung unter Vizeadmiral von Trotha, des Mannes, der maßgeblich an der Idee eines letzten „Vorstoßes“ der Hochseeflotte im Oktober 1918 zur „Ehrenrettung“ der deutschen Marine beteiligt gewesen war und damit die Befehlsverweigerung und nachfolgende „Revolution“ in der Hochseeflotte ausgelöst hatte. Sie entschied sich für Kapp und gegen die für aufgelöst gehaltene Regierung, um die Marine nicht auf eine neue Zerreißprobe zu stellen und bewirkte – in einer völlig falschen Einschätzung der Lage - das Gegenteil. Der Widerstand der Deckoffiziere in den eigenen Reihen, der eine aktive Unterstützung verhinderte, war das deutlichste Zeichen der erneuten Erschütterung des inneren Gefüges der Reichsmarine. Schlimmer noch : Das hier im Parlament gesäte Mißtrauen gegen die Marine konnte nie mehr beseitigt werden.
Die Zwangslage für die Regierung war jedoch derart, daß sofort nach dem Scheitern des Putschs eine andere Marinebrigade wieder gegen einen bewaffneten Aufstand im Ruhrgebiet eingesetzt wurde. Den erneuten Bestrebungen der Regierung und des Parlaments nach Unterordnung der Marine durch Eingliederung in das Heer, der am Einspruch der Heeresleitung (!) scheiterte, bemühte sich die Marineführung von vornherein die Spitze abzubrechen. Der bei allen Linksparteien negativ besetzte Begriff „Chef der Admiralität“ wurde durch den „Chef der Marineleitung“ ersetzt und die beim Kapp-Putsch als antirepublikanisch hervorgetretenen Offiziere entweder entlassen, auch v. Trotha, oder, wie der damalige Kapitän zur See Raeder, in der Abteilung für Marinegeschichte den Augen der Öffentlichkeit entzogen.

In der folgenden Zeit galt die Marine zu Recht als „Hort der rechten Reaktion“. So veröffentlichte z.B. der Kapitän zur See v. Waldeyer-Hartz noch im Jahr 1920 offensichtlich ungetadelt die Schrift „Das (Reichs-)Marineamt und seine demokratischen Widersacher“ (sic!) (zu finden: → hier).
Wegen des herrschenden Personalmangels wurden die meisten Angehörigen der ab Sommer 1920 aufgelösten Marinebrigaden in die Marine übernommen. Sie trugen ihre schon als Haß auf die Demokratie zu bezeichnende Einstellung in die Truppe. Es kam zu schweren Vorfällen, besonders auf der Insel Borkum, und offen antirepublikanischen Demonstrationen, z.B. beim Flaggenwechsel der Schiffe, die bis zum 31. 12. 1921 noch die Kriegsflagge der Kaiserzeit hatten führen dürfen.
An der Marineschule Mürwik ereignete sich laut Reichswehrminister Dr. Geßler „eine große Anzahl auf das Schärfste zu mißbilligender Zwischenfälle“, so unter anderem eine Feier (!) anläßlich des Mordes am damaligen Außenminister Walther Rathenau im Juni 1922. Auch energische Disziplinarmaßnahmen und regierungstreues Vorgehen von Marineeinheiten bei der Unterdrückung weiterer Aufstände in Hamburg im Herbst 1920 und im Jahr 1923 konnten den einmal erworbenen schlechten Ruf der Marine als Feind der Demokratie nicht mehr tilgen. Der Nährboden des Mißtrauens war zu gut bereitet.

Unter großen Schwierigkeiten – den Werften fehlten Material und Ersatzteile, Streiks verzögerten die Arbeiten und Lieferungen – begann mit der Wiederindienststellung des 20 (!) Jahre alten kleinen Kreuzers „Medusa“ in Kiel und des fast ebenso alten Kreuzers „Hamburg“ in Wilhelmshaven der materielle Wiederaufbau der Reichsmarine. Im Herbst 1922 nahmen 2 Linienschiffe, 5 alte kleine Kreuzer und 22 Torpedoboote an den Nordseemanövern teil. Der Chef der Marineleitung, Admiral Behncke, hatte in der Skagerrakschlacht noch ein Geschwader moderner Schlachtschiffe geführt, das den Manöververband an Feuerkraft um das 10fache übertroffen hätte. So hatten sich die Verhältnisse geändert!

Wie stand es nun auf der anderen Seite – im Parlament – mit dem Bild der Marine?


2. Die Haltung der Parteien zur Reichsmarine

Die erstmals in einem deutschen Parlament vertretene Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) war grundsätzlich gegen Reichswehr und Reichsmarine eingestellt. Dabei war nicht nur eine entsprechende Richtungsweisung aus Moskau bestimmend. Gerade die Reichsmarine wurde vom ideologischen Standpunkt aus als „Machtmittel des Imperialismus und Kapitalismus“ und mögliche Bedrohung der jungen Sowjetunion gewertet. Unvergessen war auch der überharte Einsatz der Marinebrigaden bei den kommunistischen Aufständen, der ja nicht den „Schutz der Republik“ sondern einen inhärenten, auf den Ereignissen des Novembers 1918 gründenden „Antikommunismus“ als inneren Antrieb gehabt hatte. Die aufgrund persönlicher Animosität gerade zur Marine noch unversöhnlicher eingestellte USPD ging 1922 in der SPD auf. Ihre Rolle dort wird noch erwähnt werden.

Am anderen Ende des politischen Spektrums stand die Deutschnationale Volkspartei (DNVP), ein Zusammenschluß der konservativen Parteien des ehemaligen Kaiserreichs. Für sie war eine Unterstützung von Reichswehr und Marine, obgleich man der letzteren intern eine Mitschuld an der Revolution und dem Sturz des Kaisers zuschrieb, schon aus ihrer Betonung des Nationalgedankens her selbstverständlich. Während die Partei die Republik, die demokratische Staatsform und die Stresemannsche Außenpolitik der 20er Jahre scharf ablehnte und auch zu behindern versuchte, beteiligte sie sich aus machtpolitischen Überlegungen bis 1928 immer wieder an der Regierung.
Die Parteien der bürgerlichen Mitte, die Deutsche Volkspartei (DVP), die Deutsche Demokratische Partei (DDP) und das katholische Zentrum verstanden sich als staatstragende Parteien. Sie bejahten den Grundgedanken der Notwendigkeit einer militärischen Reichsverteidigung und zogen die Existenz einer Marine nie in Frage. Bis 1928 unterstützten sie den Neuaufbau von Heer und Marine in den Etatverhandlungen und stimmten für eine völlige Ausschöpfung der durch den Versailler Vertrag begrenzten Rüstungsmöglichkeiten.


Ebert und Noske

Von ganz besonderer Bedeutung war die Einstellung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, der SPD, die während der Regierungszeit Wilhelms II., abgesehen von den Jahren des Weltkriegs, in scharfer Opposition zum Militär gestanden hatte. Mit den Personen des Reichspräsidenten Ebert und des als Bluthund beschimpften Reichswehrministers Noske war anfangs die Chance auf eine Annäherung von Reichswehr und Partei und einer positiven Wehrpolitik gegeben.
Aber schon 1920 mußte Noske nach dem Kapp-Putsch auf innerparteilichen Druck hin von seinem Ministerposten zurücktreten. In der Folgezeit wurde die Kluft zwischen Partei und Reichswehr wieder größer. Entscheidenden Anteil daran hatten die Mitglieder der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, der USPD, die sich nach einer Abspaltung während des 1. Weltkriegs im Herbst 1922 wieder der Mutterpartei SPD angeschlossen hatte. Ihr Radikalismus stärkte und prägte die ablehnende Haltung der SPD gegenüber der Reichswehr, besonders in den Reichstagsreden zu den Haushaltsverhandlungen. Dabei tat sich Bernhard Kuhnt, der ehemalige Präsident der im Jahr 1919 für kurze Zeit existierenden „Sozialistischen Republik Oldenburg-Ostfriesland“ hervor, der besonders die Reichsmarine in gehässiger und entwürdigender Form beschimpfte.

Das durchaus verständliche Mißtrauen gegenüber der Reichswehr und die Angst vor einer erneuten Abspaltung des linken Flügels und entsprechendem Machtverlust blieben entscheidende Hindernisse beim Versuch der Partei, eine eigene Wehrpolitik zu formulieren. Die 1924-26 praktizierte Form der Zustimmung zum Reichswehretat mit Ausnahme des Gehalts des Reichswehrministers sollte die Bejahung des Gedankens der Wehrhaftigkeit der Republik bei gleichzeitiger Ablehnung der damaligen Reichswehrführung verdeutlichen. Die stetig zunehmende Macht der Partei im Reichstag forderte jedoch mehr, eine staatstragende Rolle und schließlich auch die Übernahme von Regierungsverantwortung.
Es gelang einigen wenigen besonnenen Abgeordneten, unter ihnen Julius Leber und der junge Kurt Schumacher, aber nicht, das tiefsitzende Mißtrauen der Parteibasis gegenüber dem Exekutivorgan Reichswehr zu überwinden. Da auch die Versuche der Einflußnahme auf den Personalersatz des Heeres und der Marine von der Reichswehrführung abgewehrt wurden, deren Kontakte zu nationalistischen Verbänden in diesem Zusammenhang bekannt wurden, erhielten gegenseitige Vorurteile und Feindschaft zwischen Sozialdemokratie und Reichswehr ständig neue Nahrung.

Während die Notwendigkeit einer Landesverteidigung und damit die des Heeres in der Partei grundsätzlich bejaht und nur die derzeitigen Zustände beklagt wurden, war die Einstellung gegenüber der Reichsmarine bei vielen Parteimitgliedern, besonders im linken Flügel und bei den ehemaligen USPD-Abgeordneten, weitaus kritischer. Immer wieder wurden Zweifel an deren Existenzberechtigung in den Reichstagsdebatten und besonders den eigenen Zeitungen geäußert, allerdings nie zur offiziellen Parteilinie erhoben. Die gebrauchten Schlagworte wie z.B. „Offiziers-Spielzeug“ zeigten, daß hier vor allem noch alter Groll aus der Kaiserzeit zutage trat. Seit 1921 lehnte die SPD Jahr für Jahr die Raten für Kriegsschiffneubauten in den Haushaltsverhandlungen ab.


3. Reichswehr und Republik (1921-26)


v. Seeckt
und Gessler

Nach dem Kapp-Putsch im März 1920 wurde Generaloberst Hans v. Seeckt der neue Chef der Heeresleitung und damit der eigentliche Herr der Reichswehr.
Er war der Mann, der gegenüber der Regierung den Einsatz von Truppen gegen die Brigade Ehrhardt, angeblich mit den Worten „Reichswehr schießt nicht auf Reichswehr“, abgelehnt hatte. Seine Treue galt nicht der Republik, sondern dem Vaterland, dem Staat als Daseinsform des deutschen Volkes. Als entscheidende Aufgabe der Reichswehr sah er die Verteidigung des Staatsgebiets, nicht die der Verfassung. Diese Vorstellungen setzte er mit Nachdruck im Offizierskorps und bei der Ausbildung und Führung der Truppe durch.
Das angestrebte Ziel, wie es auch im Reichswehrgesetz von 1921 zum Ausdruck kam, war der unpolitische Soldat, der keinem zivilen Einfluß unterworfen war. Das Ergebnis war ein politisches Eigenleben der Reichswehr, sie wurde zu dem zu trauriger Berühmtheit gekommenen „Staat im Staate“, der sich nur seinem Oberbefehlshaber, nicht aber der politischen Führung zum Gehorsam verpflichtet fühlte. Seeckt selbst sah die Reichswehr als Ganzes durchaus nicht unpolitisch, ganz im Gegenteil. Anders als Reichswehrminister Dr. Geßler, der in seiner untadeligen Pflichtauffassung die Reichswehr als ersten Diener des demokratischen (!) Staates sah, hielt er sie für den mächtigsten Faktor im Staat, der seine eigenen Interessen in der inneren und äußeren Politik selbst und energisch zu vertreten habe. Die Reichswehrführung ging damit über die Überparteilichkeit weit hinaus und nahm in der Art, in der sie, teilweise verschwörerhaft, „Politik machte“, selbst den Charakter einer antidemokratischen, außerparlamentarischen Oppositionspartei an.
Das Ziel der Wiederherstellung der militärischen und außenpolitischen Stärke des Deutschen Reiches und die Ablehnung von Demokratie, Parlamentarismus und Versöhnungspolitik führten die Reichswehr dabei fast zwangsläufig mit den Rechtsparteien zusammen. Instrumentalisiert wurde diese Zusammenarbeit bei der Auswahl des Mannschaftsersatzes mit Hilfe antidemokratischer Organisationen und bei geheimen Rüstungsmaßnahmen. In beiden Bereichen stieß man hier auf die SPD mit ihrem Bemühen um parlamentarische Kontrolle und Transparenz, wodurch sich ständig neuer Konfliktstoff ergab.


Torpedoboote der Raubtier-
Klasse beim Stapellauf

Verglichen mit dem technisch recht kümmerlich ausgestatteten Heer und im Sinne des Großadmirals Tirpitz, der zur Zeit des Kaiserreichs im Reichstag nur einen Bewilligungsausschuß der für den Flottenbau notwendigen Finanzmittel gesehen hatte, hätte die Marineleitung mit dem Reichstag zufrieden sein können. In den Jahren 1924-26 wurden 12 neue Torpedoboote der Raubtier- und Raubvogelklassen und 3 neue leichte Kreuzer in Bau gegeben.
Anders als Tirpitz betrieb die Marineleitung jedoch keine Informationspolitik im Reichstag wie zur Zeit der Flottengesetze des Kaiserreichs. Sie negierte diese sogar so weit, daß man eine bewußtes Vernachlässigen der Informationspflicht dem Parlament gegenüber unterstellen muß. Das Parlament kam seiner Aufsichtspflicht allerdings auch nicht nach und überließ die Marine sich selbst, ohne die Darlegung einer sorgfältigen, zielbewußten und langfristigen Rüstungsplanung zu fordern. Hierfür fehlten wiederum die sicherheitspolitischen Vorgaben, die die Regierung der Reichswehrführung hätte machen müssen. Dies fand bis 1928 – es änderte sich erst und dann deutlich, als General a.D. Groener Dr. Geßler als Reichswehrminister ablöste - einfach nicht statt. Die „freie Hand“ wurde von der Marineführung erkannt und rücksichtslos ausgenutzt. Man nahm an Haushaltsmitteln, was man bekommen konnte, und tat damit, was man wollte.
Während die außenpolitischen Bemühungen Stresemanns um Verständigung mit Frankreich erste Erfolge zeigten, sahen die Planungen der Marine völlig ungerührt davon Frankreich als Hauptgegner. Als die Bestimmungen der Versailler Vertrags bei der Artilleriebewaffnung der neuen Torpedoboote bewußt unterlaufen und diese bekannt wurde, schob man es den diplomatischen Vertretern des Außenministeriums zu, die entstandenen Irritationen zu besänftigen.
Worin lag diese Mißachtung des Parlaments begründet ? Sicher hatten viele ehemals kaiserliche Marineoffiziere schon von ihrer Leitfigur Wilhelm II. die Verachtung der demokratischen Prinzipien und besonders der Parteipolitiker übernommen und verinnerlicht. Die „Dolchstoßlegende“ Ludendorffs hatte die Verachtung für Politiker in Haß auf die „Novemberverbrecher“, die den sogenannten „Schandvertrag von Versailles“ unterzeichnet hatten, verwandelt. Gerade in der Marineführung kamen weitere Ressentiments dazu, einigen Vertretern der Linksparteien wurde eine Mitwirkung an den Matrosenunruhen des Jahres 1917 unterstellt. Dies ging so weit, daß in den Akten eine „Liste der Feinde der Marine“ über Politiker geführt wurde. Die nicht ausgeübte parlamentarische Kontrolle tat ein Übriges, das Bild einer unfähigen Regierung zu bestätigen.


4. Die Marineplanung für das Panzerschiff A

Die Wahl des Nachfolgetyps für die veralteten Linienschiffe war in der Marineleitung lange umstritten, so sehr, daß ein gemäß den Bestimmungen des Versailler Vertrags ab 1925 möglicher Neubau für die Haushaltsjahre 1926 und 1927 nicht eingeplant wurde. Bei der eingangs erwähnten Begrenzung auf 10.000 Tonnen Wasserverdrängung war ein Schlachtschiff mit ausgewogener Bewaffnung, Panzerung und Geschwindigkeit technisch einfach nicht realisierbar. Dies wurde sogar in den Haushaltsdebatten des Reichstags zugegeben. Viele Admirale befürworteten ein schwer bewaffnetes und gepanzertes Schiff mit geringerer Reichweite und Geschwindigkeit, einen Monitor-Typ.
Gegen diesen Entwurf sprach die fortentwickelte Konzeption der Marine. Nachdem in den Anfangsjahren bis 1922 Polen als alleiniger Gegner betrachtet worden war, wurde bald – wie bereits angedeutet - Frankreich als Verbündeter Polens mehr und mehr in die Überlegungen einbezogen. Die Ausübung der Seeherrschaft in der Ostsee war von einer Abriegelung der dänischen Meerengen abhängig, hier sahen die „Monitor“-Befürworter das Einsatzgebiet.

Schon bald rückte jedoch die Nordsee und der Schutz der Überseezufuhr in den Überlegungen an die Spitze der Aufgaben. Dies war nicht nur nicht mit der politischen Führung, sondern nicht einmal mit der Reichswehrleitung abgestimmt, so ressortorientiert verhielt sich die Marineführung. Anhand der Ergebnisse von Nordseemanövern, die, wie auch etwa gleichzeitig in anderen Marinen, den Übergang von einer Linear- zur Kampfgruppentaktik als richtigen Weg unterstrichen, und aufgrund der technischen Entwicklung, die Gewichtsersparnis durch Schweißen statt Nieten beim Schiffbau ermöglichte, begannen im Herbst 1926 Entwürfe für einen ganz anderen, kreuzerähnlichen Schiffstyp, der zuerst als „Linienschiffskreuzer“ und dann als Panzerschiff bezeichnet wurde.


Entwurf Panzerschiff I

Dies war ein schwer bewaffnetes Schiff mit einer modernen Dieselmotorenanlage, die ihm eine relativ hohe Geschwindigkeit und eine enorm große Reichweite verlieh. Drei unterschiedliche Gedankengänge waren für die nach zahlreichen Entwürfen und langen Diskussionen zugunsten dieses Typs getroffene Entscheidung maßgeblich.
Die militärische Argumentation orientierte sich an der als Hauptgegner angesehenen französischen Flotte mit langsamen Schlachtschiffen und schnellen, leicht gepanzerten Kreuzern, denen das Panzerschiff im Gefecht jeweils durch eine seiner Eigenschaften Bewaffnung und Geschwindigkeit überlegen sein sollte.
Militärpolitische Überlegungen, die vor allem von dem ehemaligen Brigadeführer und jetzigen Leiter der Flottenabteilung (A II) Kapitän zur See v. Loewenfeld dem Chef der Marineleitung, Admiral Zenker, vorgetragen wurden, sahen die neue Konstruktion als Aushebelung der Bestimmungen des Washingtoner Flottenvertrags von 1920, der die Zahl, Bewaffnung und Größe von definierten Schiffstypen wie Schlachtschiffen und Kreuzern beschränkte. Dies sollte dem Deutschen Reich eine neue marinepolitische Bedeutung auf internationaler Ebene eintragen.
Zum Dritten wurde das Panzerschiff als Kern einer zukünftigen hochseefähigen Flotte gesehen, deren Konzept – hier war sogar von „Weltgeltung“ die Rede - man mit der Wahl des Monitortyps abgeschrieben hätte.

Die tatsächliche, spätere Reaktion des Auslands auf das als „gefährlich“ und „unbequem“ empfundene Schiff war, daß in Frankreich ein neues, schnelles Schlachtschiff („Dunkerque“) in Bau gegeben wurde, dessen Entwurf dem des Panzerschiffs in jeder Hinsicht – außer der Reichweite - überlegen war. In der Außenpolitik, beim Völkerbund, gab es Probleme bei den Bemühungen um Beseitigung des Ungleichgewichts in der Rüstung.
Somit hatte die Marineführung einen neuen Impuls im Rüstungswettlauf bewirkt, was keineswegs im deutschen Interesse lag. Eine eigentliche, durchdachte Konzeption für den Einsatz der Panzerschiffe, der nur in der Nordsee und darüber hinaus im Atlantik sinnvoll sein konnte, gab es zu dieser Zeit nicht. Demgegenüber wurde in einer Fortsetzung der Nichtinformationspolitik gegenüber dem Parlament und sogar dem eigenen Minister - die eben angeführten politischen Überlegungen hätte man wohl auch nicht vertreten können - behauptet, es ginge beim Panzerschiff um den Küstenschutz und die Sicherung der Seeverbindung zwischen dem Deutschen Reich und Ostpreußen. Ein richtiges, aber nur wirtschaftliches Argument war allerdings die Notwendigkeit des Ersatzes der alten Linienschiffe, weil deren Instandhaltungskosten in den letzten Jahren steil in die Höhe gegangen waren.

Im März 1927 lag der durchkonstruierte Entwurf „I/M26“ des Panzerschiffs vor. Mit der offiziellen Entscheidung des Chefs der Marineleitung für den neuen Schiffstyp am 11. Juni 1927 war der Weg frei, die erste Rate für das Panzerschiff A im Haushalt 1928 zu beantragen. Eine Zustimmung des Parlaments war jedoch zu dieser Zeit mehr als fragwürdig geworden.


5. Die Vertrauenskrise zwischen Reichswehr und Parlament 1926-28

Im Oktober 1926 hatte General v. Seeckt als Chef der Heeresleitung zurücktreten müssen. Er hatte die Geheimhaltung der Teilnahme eines preußischen Prinzen an einem Heeresmanöver gedeckt und damit alle Bedenken über monarchistische Tendenzen in der Reichswehr wieder wachgerüttelt. Dies war der Auslöser zu einem nachdrücklichen Vorgehen der SPD gegen die Reichswehrleitung, das eine umfassende Aufdeckung und Aufklärung aller bisher beanstandeten Mängel, besonders der illegal durchgeführten Rekrutierungs- und Rüstungsmaßnahmen, zum Ziel hatte.
Während der Reichswehrminister noch hinhaltend antwortete und eine Besserung „nach Seeckt“ zusagte, veröffentlichte die englische Zeitung „Manchester Guardian“ erste Berichte über eine geheime Rüstungs-Zusammenarbeit der Reichswehr mit der Sowjetunion. Daraufhin hielt Philipp Scheidemann, der Mann, der im November 1918 die Republik ausgerufen hatte, am 16. Dezember 1926 im Reichstag eine Anklagerede, in der er die schon bekannt gewordenen Einzelheiten der illegalen und antirepublikanischen Tätigkeit, besonders im Heer, wiederholte und deren Kenntnis offiziell machte. Sie zeigte die tiefsitzende Erbitterung seiner Partei über die Zustände in der Reichswehr und über die hartnäckige Weigerung der Reichswehrführung, diese zu ändern. Sie verurteilte aber auch alle Versuche derjenigen in der SPD, die die Gegensätze überbrücken wollten, zum Scheitern.
Die Gefühle auf der Gegenseite gingen ebenso hoch, Inhalt der Rede und Sprecher wurden mit Landesverrat gleichgesetzt. Ein schon extrem zu nennendes Beispiel des Umgangs mit der SPD gab die Marineführung in Wilhelmshaven. Dort wurde die Nichtveröffentlichung einer bekannt gewordenen illegalen Ausbildung von Angehörigen rechtsnationaler Verbände durch die Androhung von Entlassungen auf der Marinewerft praktisch erpresst.

Die Reichsmarine hatte schon im Herbst 1926 im Parlament Anlass zu scharfer Kritik gegeben. Im Nachtragshaushalt waren Finanzmittel für den Bau einer Schule in Kiel-Friedrichsort beantragt worden. Bei der Debatte kam zutage, daß die Schule mit für andere Zwecke vorgesehenen, aber im Etat umbuchbaren Geldern bereits gebaut und vom Chef der Marineleitung eingeweiht worden war. Die SPD forderte daraufhin, nicht zum ersten Mal, die Verfügungsgewalt von Heer und Marine über ihre Haushaltsmittel zu begrenzen und deren Verwendung genauer zu überwachen. In dieser Situation kam es nun durch die „Lohmann-Affäre“, auch als „Phöbus-Skandal“ bekanntgeworden, zum Eklat.
Der Leiter der Transportabteilung der Marine, Kapitän zur See Walter Lohmann, hatte mit „schwarzen“, d.h. nicht im Haushalt geführten Geldern, die der Marine teilweise noch aus der Zeit der französischen Besetzung des Ruhrgebiets im Jahr 1923 zur Verfügung standen, selbständig gewirtschaftet. Die Spannbreite seiner Aktivitäten reichte vom Bau von als Hilfsschiffen einsetzbaren Tankern und Fischdampfern bis zur spekulativen Finanzierung von Filmgesellschaften, die Filme „mit nationaler Gesinnung“ herstellen sollten. Am Rande bemerkt: Eine bis heute erfolgreiche Gründung war der Deutsche Hochseesportverband „Hansa“ in Glücksburg, der eine vormilitärische Ausbildung von Seeleuten durchführen sollte und diesen militärischen Charakter noch lange nach dem 2. Weltkrieg pflegte.
Als die von Lohmann unterstützte „Phöbus-Film“ im Sommer 1927 in Konkurs ging, wurde die Beteiligung der Marine und dann auch der ganze Umfang dieser Aktivitäten aufgedeckt. Der finanzielle Verlust des Reichs betrug insgesamt 13,3 Millionen Reichsmark (ein Leichter Kreuzer hatte 36 Mill. RM gekostet). Die Entrüstung über das Umgehen der parlamentarischen Kontrolle und des Haushaltsrechts war diesmal in allen Parteien bis zur DNVP so groß, daß schließlich der Reichswehrminister Dr. Geßler im Januar und der Chef der Marineleitung im Oktober 1928 zurücktraten. Admiral Raeder, Zenkers Nachfolger, berichtete später in seinen Erinnerungen, bei seinem Amtsantritt eine durch alle Parteien gehende der Marine feindliche Stimmung vorgefunden zu haben – und in dieser Lage trat die Marine, ohne im Reichstag vorab auch nur darüber informiert zu haben, mit dem bisher größten Rüstungsvorhaben der Republik auf den Plan.


6. Die Haushaltsverhandlungen für 1928 und das Ende der Regierung Marx

Am 8. 12. 1927 wurde die Einplanung einer ersten Baurate von 9,3 Millionen Reichsmark im Marineetat 1928 erstmals in der Presse erwähnt. Die Kommentare ließen schon etwas von der Schärfe der Auseinandersetzung, die in den nächsten Monaten bevorstand, erahnen. Am 17. 12 1927 brachte die von der SPD geführten Regierung des Landes Preußen in der Ländervertretung, dem Reichsrat, einen Streichungsantrag gegen die Baurate ein und gewann mit der Unterstützung der anderen SPD-regierten Länder und der von der Zentrumspartei geführten Länderregierungen von Westfalen, Rheinland und Baden auch die Abstimmung über den Antrag.
Schon hier zeichnete sich zum ersten Mal das politische Konfliktpotential des Panzerschiffsvorhabens ab, denn das Zentrum gehörte ja auch zur Regierungskoalition und stellte den Reichskanzler. Damit sah sich die Bürgerblock-Regierung Marx gezwungen, zwei alternative Haushaltsgesetze, eine sogenannte Doppelvorlage, für das Jahr 1928 im Reichstag einzubringen. Bei der ersten Lesung des Haushalts am 20. Januar 1928 sprach sich neben der SPD auch die DDP gegen den Bau aus. In der sehr sachlich geführten Debatte waren die Argumente gegen den Bau die angespannte Finanzlage des Reiches, ein geringer militärischer Wert des Schiffs und die Angst vor einer außenpolitischen Belastung des Reiches und dem Beginn eines neuen Wettrüstens. Die Befürworter hoben hervor, daß die total überalterten Linienschiffe aus militärischen wie wirtschaftlichen Gründen ersetzt werden müßten und daß das militärisch schwache Deutschland alle im Rahmen des Versailler Vertrags gegebenen Möglichkeiten ausnützen müsse.
Es wurde auch das durchaus richtige Sachargument der Sicherung von Arbeitsplätzen in den Werftstädten Kiel und Wilhelmshaven vorgebracht. Deren Vertreter im Reichstag (SPD) waren durch die bereits begonnene Wahlpropaganda ihrer Partei einerseits und die verständlichen Wünsche der traditionell SPD wählenden Arbeiterschaft nun in der Klemme, was ihnen zusätzlich von der rechten Lokalpresse in diesen Städten genüßlich unter die Nase gerieben wurde. Die erstmals von der KPD verwandte Parole „Kinderspeisung statt Panzerkreuzer“ wurde zumindest formal damit widerlegt, daß die Kinderspeisung Ländersache sei, mit dem Reichshaushalt also nichts zu tun habe und man mit diesem Argument alle Posten des Etats in Frage stellen könne.

Am 25. Februar 1928 zerbrach die „Bürgerblock“-Koalition der Regierung Marx wegen unlösbarer Meinungsverschiedenheiten über das Schulgesetz. Damit schien die Zukunft des Bauvorhabens, über das jetzt der Reichstag entscheiden mußte, wieder völlig offen, jedoch nur für kurze Zeit, denn am 29. Februar fasste die Reichstagsfraktion des Zentrum gegen eine starke Minderheit in den eigenen Reihen den Beschluß, dem Bau zuzustimmen. Deren Argumente der Notwendigkeit eines strikten Sparkurses angesichts der Finanzlage des Reiches und der Vordringlichkeit von Ausgaben im Sozialbereich, die im Reichsrat noch den Entschluß der „Zentrums“-Länder geprägt hatten, drangen diesmal nicht durch.
Die zweite Lesung des Haushalts im Plenum des Reichstags am 27. März 1928 war bei der Debatte über das Panzerschiff schon von Emotionen und dem Bemühen aller Parteien geprägt, ihre Haltung vor den bevorstehenden Reichstagswahlen deutlich darzustellen. Der Haushalt und damit die 1. Baurate wurden schließlich gegen die Stimmen von KPD, SPD, DDP und einiger einzelner Abgeordneter der Wirtschaftspartei angenommen. Der Reichsrat erhob jedoch unter der Führung des sozialdemokratisch regierten Preußen Einspruch gegen den Haushalt. Die Regierung hätte nun eine Zweidrittelmehrheit im Reichstag benötigt, um ihren Haushalt gegen den Einspruch des Reichsrats durchzusetzen. Dies schien angesichts des Abstimmungsergebnisses vom 27. 3. unmöglich zu sein.
Die Regierungsparteien wollten aber nicht mit dem Makel eines nicht zum Stichtag 1. April beschlossenen Haushalts in den Wahlkampf ziehen müssen. Daher wurde zwischen Regierung und Reichsrat ein Kompromiß ausgehandelt. Die Regierung verpflichtete sich, den Bau vorerst nicht zu beginnen, sondern im Herbst nach erneuter Prüfung der Finanzlage eine endgültige Entscheidung zu treffen. Die Vertreter der SPD-Länderregierungen im Reichsrat stimmten dem – in der stillen Hoffnung auf den Wahlsieg ihrer Partei – am 31. März zu.

Unberührt von allen politischen Auseinandersetzungen setzten Admiral Hans Zenker und der Chef der Konstruktionsabteilung (K), Ministerialdirektor Dr. Ing. h.c. Preße, am 11. April 1928 ihre Unterschrift unter die Typskizze für das Panzerschiff „A“, die die Grundlage für die zu erstellenden Bauunterlagen bildete.


7. Die Regierungsbildung, der Kabinettsbeschluß vom 10. 8. 1928 und der Streit in der SPD


Reichskanzler
Hermann Müller

Die Reichstagswahlen vom 20. Mai 1928 machten die SPD zur stärksten Fraktion im Reichstag, der „Bürgerblock“ verlor seine knappe Mehrheit glatt. Der Führer der SPD-Reichstagsfraktion, Hermann Müller, wurde daher vom Reichspräsidenten v. Hindenburg mit der Bildung der Regierung beauftragt. Dies gestaltete sich von Anfang an als schwierig. Der Plan einer „Großen Koalition“ unter Einschluß der Deutschnationalen scheiterte unter anderem wegen deren Beharren auf dem Bau des Panzerschiffs. Eine Koalition mit Zentrum, DDP und Bayrischer Volkspartei, die über eine schwache Mehrheit verfügt hätte, kam nicht zustande, da diese das Übergewicht der SPD fürchteten. So blieb Müller letztlich nur die Möglichkeit, ein „Kabinett der Persönlichkeiten“ mit Mitgliedern der SPD und der 3 anderen Parteien, aber ohne fraktionsmäßige Bindung zu bilden, was am 29. Juni 1928 endlich gelang.
Die SPD hatte den Wahlkampf unter anderem, um Stimmenverluste an die KPD zu vermeiden, mit der – wie wir gehört haben, an sich unsinnigen - Parole „Kinderspeisung statt Panzerkreuzer“ geführt und war damit erfolgreich gewesen.Dies brachte die SPD-Mitglieder des Kabinetts nun in Schwierigkeiten. Die KPD hatte sofort bei der 1. Sitzung des neuen Reichstags den Antrag gestellt, die Baurate für das Panzerschiff aus dem Haushalt zu streichen. Kanzler Hermann Müller vertrat nun in seiner Regierungserklärung am 3. Juli 1928 vor dem Reichstag die Auffassung, das von der vorherigen Regierung beschlossene Haushaltsgesetz sei auch jetzt noch bindend. Einer Prüfung der damaligen Rechtslage hielt das nicht stand und in diesem Sinne argumentierten dann auch sofort die Vertreter der KPD. Eine nochmalige Behandlung des Vorhabens im Wehrausschuß brachte nur einen kurzfristigen Aufschub. Die Kabinettsmitglieder der DVP forderten den Bau des Panzerschiffs.
Damit blieb nur die Wahl zwischen einem klaren Bruch des Wahlkampfversprechens und einem Zerbrechen der gerade erst gebildeten Regierung. Im Kabinett setzten sich die Befürworter des Baus mit eben dieser Drohung gegen den hinhaltenden Widerstand der vier SPD-Minister durch. Außerdem hatte die im März vereinbarte nochmalige Prüfung der Haushaltslage ergeben, daß die Baukosten durch die Minderung der Betriebskosten im Vergleich zu denen der maroden Linienschiffe gedeckt waren, und damit war diese formelle Hürde überwunden.

So fiel am 10. August 1928 die Entscheidung, dem Bau – genauer gesagt der 1. Baurate – die Zustimmung zu erteilen. Die darauf folgende Empörung in der SPD, in der Fraktion, den Landesverbänden im ganzen Reich und in der sozialdemokratischen Presse war spontan, allgemein und tief. Den Ministern wurde das Vertrauen aufgekündigt, ihnen wurde unsolidarische Haltung vorgeworfen, viele verlangten ihren Rücktritt. Die vorherrschende Meinung an der Basis war „lieber ein Bruch der Koalition, ein Scheitern der Regierung, als der Bau des Panzerschiffs!“.
Eine Regierungserklärung mit der Wiederholung des Arguments, der Haushaltsbeschluß sei als Gesetz bindend, brachte das Dilemma der SPD nur noch einmal klar zum Ausdruck. Wenn diese Behauptung richtig war (das war juristisch nicht vertretbar, zumindest umstritten), welchen Sinn hatte dann die Wahlkampfparole gehabt, die doch eine Verhinderung des Baus als möglich hinstellte und versprach?
In jedem Fall bestand die gesetzliche Möglichkeit, eine Änderung des Haushalts durch einen Nachtrag zu bewirken und die eingeplante Baurate wieder aus dem Etat zu nehmen. Die Deutsche Demokratische Partei, deren Fraktion im Reichstag gegen und deren Kabinettsminister dann für den Bau gestimmt hatte, war da ehrlicher, als sie öffentlich erklärte, die Entscheidung sei gefallen, um die Regierungskoalition zu erhalten. Die Alternative wären Neuwahlen gewesen, bei denen man mit einer Stärkung der Radikalen links und rechts rechnen mußte. Wenn die SPD die Regierungsmacht behalten wollte, war das ohne Kompromisse eben nicht möglich.
Die Zustimmung Hermann Müllers und der anderen Minister aus den Reihen der SPD beruhte allerdings nicht nur auf macht- und koalitionspolitischen Gründen. In der Regierungsverantwortung mußten sie auch in der eigenen Partei unpopuläre und angefeindete Beschlüsse fassen und dessen waren sie sich bewußt. Der Kanzler selbst machte das in seiner Rede auf einer Abrüstungskonferenz im September 1928 klar, als er sich für das Recht des Deutschen Reiches auf eine angemessene Bewaffnung seiner Streitkräfte als sicherheitspolitisch notwendig und Zeichen einer politischen Gleichberechtigung vehement aussprach.

Sein Fehler und der seiner Minister war es, daß sie diese Haltung nicht auch in der Partei vertraten. Julius Leber sagte später „Ihre wahren Beweggründe konnten sie nicht sagen, sich einfach zum Bau bekennen mochten sie auch nicht, und so entstand jenes unheilvolle Durcheinander von schlechtem Gewissen und lahmen Ausreden“. Der Fehler der Partei war, daß man diese Haltung, selbst wenn sie verstanden wurde, nicht akzeptierte. Parteivorstand und Reichstagsfraktion tadelten am 15. und 18. August öffentlich das Verhalten der Minister, billigten aber eine Fortsetzung der Koalition. Dieses widersprüchliche Verhalten wurde fortgesetzt, als die Reichstagsfraktion der SPD am 31. Oktober den Antrag stellte, den Bau des Panzerschiffs einzustellen. Damit wurde das schwache Kabinett Müller nun einer erneuten Zerreißprobe unterworfen. Der Parteivorstand glaubte, dies tun zu müssen, um vor Mitgliedern und Wählern nicht das Gesicht zu verlieren, nachdem die KPD mit dem Antrag auf ein Volksbegehren, den Bau zu verbieten, im September klar an der vorgeschriebenen 10 %-Hürde gescheitert war. Der britische Botschafter bezeichnete diese Vorgänge in seinem Jahresbericht als „grotesk“.
Die Einsicht, daß ihre Minister sich nicht, wie vorgeworfen, „parteischädigend“ verhalten hatten, setzte sich in der SPD nicht oder kaum durch. Man war sich sehr wohl des Problems bewußt, als Regierungspartei die Stellung zur Reichswehr überdenken zu müssen und hatte daher im Oktober eine „Wehrkommission“ gegründet. Deren Sitzungsprotokolle belegen eindrucksvoll das Aufeinanderprallen der verschiedenen Meinungen, die von einer radikal-sozialistischen und –pazifistischen Haltung bis zu den Befürwortern einer positiven Staats- und Wehrpolitik reichten. Die letzteren konnten sich aber nicht durchsetzen. Zu tief saßen die historisch bedingten und durch das Vorgehen der Reichswehr immer wieder aufgefrischten und bestätigten Ressentiments gerade gegenüber der Reichsmarine.


8. Der Antrag der SPD und die Behandlung im Reichstag

Es war auch ein in der Presse teilweise mit Schadenfreude und Häme behandeltes Thema, daß die SPD um des Erhalts der Koalition willen auf ein Scheitern ihres eigenen Antrags hoffen mußte. Angesichts des knappen Abstimmungsergebnisses in der 2. Lesung am 27. März war der Ausgang durchaus ungewiß. Sicher war nur die Zustimmung von KPD und SPD. Die Deutsche Demokratische Partei, ursprünglich ein Gegner des Bauvorhabens, mußte bei einer Neuwahl des Reichstags weitere Stimmenverluste, auch wegen ihres Wechselkurses, fürchten. Im Zentrum regte sich erneut die starke Opposition der christlich-sozialen Gewerkschaftler gegen den Panzerschiffsbau. Von rechts wurde das Gerücht in die Welt gesetzt, die DNVP werde sich der Stimme enthalten, um durch einen Erfolg des Antrags den Bruch der Koalition zu verursachen. Der Spekulation war also Tür und Tor geöffnet.


Wilhelm
Groener

In dieser Situation, als es um ihr zentrales Interesse ging, wurde die Reichsmarine erstmals ihrer Informationspflicht gegenüber dem Parlament gerecht. Eine vom neuen Reichswehrminister Groener geforderte Denkschrift „Der militärische Wert der Panzerschiffsneubauten“ war von diesem im Frühjahr 1928 zurückgehalten und für die entscheidende Auseinandersetzung aufgespart worden. Jetzt verwandte er ihre Argumente im Reichstag und brachte in überzeugender Weise die sicherheitspolitischen, militärtechnischen und wirtschaftlichen Überlegungen zum Ausdruck, die zum Bauantrag geführt hatten (am Rande sei erwähnt, daß hier immer noch vom Ostsee-Einsatz gesprochen wurde, die wahren Überlegungen kannte nicht einmal Groener).


Otto Wels

Am 15. November wurde bekannt, daß die SPD-Reichstagsfraktion für die bevorstehende Abstimmung Fraktionszwang beschlossen hatte und daß dies auch für den Reichskanzler und die anderen Minister galt. Am Nachmittag desselben Tages begann die Debatte über den Antrag mit einer sehr emotionalen Rede des SPD-Fraktionsvorsitzenden Otto Wels. Alle Widersprüche der SPD-Wehrpolitik traten darin zutage. Ein Schwerpunkt der Rede war die Darstellung des sozialen Elends im Reich, das die Ausgaben für das Panzerschiff geradezu verbiete. Die Unterstellung einer bewußten Inkaufnahme seitens der anderen Parteien war dann ein direkter Angriff auf die Koalitionspartner. Wels schloß, die SPD habe keine Angst vor einer neuen Reichstagswahl aufgrund eines Streits über das Panzerschiff.


Wels-Rede

Mit dieser auch in der Presse als demagogisch bezeichneten Rede isolierte Wels die SPD in der Koalition. Alle in der Regierung vertretenen Parteien machten bei internen Besprechungen klar, daß die Wiederholung eines solchen Vorgehens den Bruch der Koalition zur Folge haben werde. Am folgenden Tag, dem 16. November, wurde die zwiespältige Haltung der SPD von allen Parteien kritisiert. Der Sprecher der KPD rügte das „bürgerliche“ Verhalten, die Sprecher der Deutschnationalen und der Deutschen Volkspartei, beide ehemalige Marineoffiziere, vor allem die Unfähigkeit der Partei zu einer klaren Wehrpolitik. Während der Sprecher der Deutschen Demokraten die Ablehnung des Antrags aus Koalitionsgründen verteidigte, legte der Sprecher der Wirtschaftspartei, die im vorherigen Reichstag ihren Abgeordneten die Abstimmung freigegeben hatte, diesmal ein klares Bekenntnis zur Wehrpolitik ab.


Joseph Wirth

Der Sprecher des Zentrum, der ehemalige Reichskanzler Dr. Wirth, erfaßte das Dilemma der SPD wohl am besten, als er formulierte „Ideologie ohne Blick auf die Realität ist unpolitisch“. Er hob hervor, es sei mit dem parlamentarischen System unvereinbar, wenn eine Partei, die in der Regierungsverantwortung stehe, mit ihrer Fraktion gleichzeitig Opposition betreibe. (Diese Formulierungen haben auch heute noch eine gewisse Aktualität).
Damit war eine klare Front gegen die SPD erkennbar. Das Abstimmungsergebnis konnte nicht mehr zweifelhaft sein. Der Streichungsantrag wurde mit klarer Mehrheit von 257 zu 202 Stimmen abgelehnt. Reichskanzler Müller und die anderen Minister der SPD hatten mit der Fraktion gegen den eigenen Beschluß gestimmt. Die politische Richtlinienkompetenz des Kanzlers war damit ad absurdum geführt worden; ein ideologisch korrektes Verhalten hatte über staatspolitische Überlegungen gesiegt. Der Ruf der SPD als zuverlässiger Koalitionspartner war damit entscheidend geschwächt. Bei den Verhandlungen über eine endgültige Regierungsbildung im April 1929 forderten die anderen Parteien von der SPD die Unterstützung der Haushaltspläne der Regierung und damit der 2. Baurate durch die Fraktion, gaben sich dann aber mit der der Minister zufrieden.
Da die vorangegangene Agitation in parteiinternen Beratungen als Fehler erkannt worden war, unterließen die Fraktionssprecher der SPD bei der Beratung des Wehretats am 17. Juni 1929 jede Polemik und stellten nur die Ablehnung fest. Um das noch einmal klar zu machen: dies war die Ablehnung des Haushalts der Regierung durch die Partei, die den Kanzler stellte (!). Die Fraktion gestattete den Ministern, für die Regierungsvorlage zu stimmen. Zwei Jahre später, unter der nicht mehr durch die Mehrheit im Reichstag legitimierten Regierung Brüning, übte die SPD sogar Stimmenthaltung bei den Streichungsanträgen der KPD zum Marine-Etat, um eine erneute Regierungskrise zu vermeiden. Die Erkenntnisse aus dem Panzerkreuzerstreit waren beherzigt worden. Für einen Erfolg der Weimarer Republik war es bereits zu spät.


Schluß


Stapellauf
Deutschland

Am 19. Mai 1931 erfolgte der Stapellauf des Panzerschiffs „A“. Das Schiff glitt von der Helling, bevor Reichspräsident v. Hindenburg die Taufe auf den Namen „Deutschland“ vollziehen konnte, in den Augen der Seeleute ein Vorzeichen von Unglück, das sich im Lebenslauf des Schiffs bewahrheiten sollte. Als es am 1. April 1933 in Dienst gestellt wurde, gab es keine Möglichkeit der parlamentarischen Auseinandersetzung mehr. Die Republik war zum Teil an sich selbst, an der Unfähigkeit zu regieren statt Parteipolitik zu treiben, gescheitert und Panzerschiff A war hierfür ein Prüfstein und Symbol gewesen.



Quellen

  • • Carsten, Francis L., Reichswehr und Politik 1918-1933, Verlag Kiepenheuer und Witsch, Köln, 1964
  • • Caspar, Gustav Adolf, Die sozialdemokratische Partei und das deutsche Wehrproblem in den Jahren der Weimarer Republik,
       Beiheft 11 zur Wehrwissenschaftlichen Rundschau, hrsg. Arbeitskreis für Wehrforschung, Verl E. Mittler & S. 1959
  • • Rahn, Werner, Reichsmarine und Landesverteidigung 1919-1928, Verlag Bernard und Graefe, München, 1976
  • • Rahn, Werner, Vom Revisionkurs zur Konfrontation, Deutsche Marinepolitik und Seestrategie von 1928 bis 1939,
       in: Der „Fall Weiß“, Der Weg in das Jahr 1939, Hrsg Jens Graul und Dr. Jörg Hillmann, in: Kleine Schriftenreihe zur Militär- und Marinegeschichte
  • • Sandhofer, Gert, Das Panzerschiff A und die Vorentwürfe von 1920 –1928, in Militärgeschichtliche Mitteilungen 1/68 (Heft 3), Hrsg. MGFA, Rombach Verlag, Freiburg i. Br.
  • • Wacker, Wolfgang, Der Bau des Panzerschiffs A und der Reichstag, Verlag J. C. B. Mohr, Tübingen, 1959

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