Abschied nach 45 Jahren: Die "Breguet Atlantic" geht in den Ruhestand

Von Bernhard W. Mroß

Ein Bericht von der Abschiedsveranstaltung auf dem Marinefliegerhorst des MFG 3 in Nordholz vom 18. bis 20. Juni 2010

Luftgestützte Aufklärung auf Seefernaufklärungsflugzeugen bedeutet Fliegen bis an die Grenze des aufzuklärenden Seegebietes und die Erfassung der entsprechenden Signale, Stationen und Einheiten (See, Land und Luft). Diese Flugzeuge führen elektronische und optische Aufklärung durch. Diese Aufklärungsergebnisse bedeuten für die höhere Führung Gewinnen von Erkenntnissen im operativen, für die mittlere Führung im taktischen Bereich. Die Seefernaufklärung liefert wichtige Ergebnisse für die Beurteilung der aktuellen Seelage (Gesamtlage) in großen Seeräumen, über Schiffsansammlungen, Ansammlungen von Landungsschiffs-Verbänden, die Zusammenziehung von Seestreitkräften in Marinestützpunkten, sowie über Verschiebungen und Verlegungen von Einheiten oder Verbänden (auch Luftfahrzeugen und Marineinfanterie) und damit erlaubt sie Rückschlüsse über die evtl. Absichten des möglichen „Gegners" zu ziehen.

Nach einer geflügelten russischen Devise gilt: „Der Kampf beginnt mit der Aufklärung".


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Insgesamt gesehen war die BR Atlantic zu einer ernstzunehmenden luftgestützten Aufklärungsplattform geworden, die sich in den vielen Jahren ihres Einsatzes während des „Kalten Kriegs" und auch danach voll und ganz bewährt hatte. Die auf ihr eingesetzten Männer aus dem Bereich Marinefernmeldestab 70 in Flensburg leisteten ihr Bestes, um die entsprechenden Beiträge für das „Lagebild" der Flotte zu erbringen.


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Am 10.12.1965 wurde in Nimes/ Frankreich die erste Serienmaschine an Deutschland übergeben und am 26.01.1966 wurde dieses Luftfahrzeug mit der Seitennummer „UC+310" (später 61+01) nach Nordholz überführt. Die letzte Maschine mit der Seitennummer 61+20 wurde am 30.05.1969 ausgeliefert. Deutschland bekam insgesamt 20 Luftfahrzeuge, von diesen wurden in den Jahren 1970-71 in den USA 5 Flugzeuge zu SIGINT Maschinen (Signal Intelligence = Suche, Erfassung, Ortung und Analyse elektromagnetischer Ausstrahlungen gegnerischer Fernmelde-, Ortungs- und Leitsysteme) umgerüstet. Bereits Ende 1971 fand der erste Einsatzflug in die Ostsee statt (der Verfasser war dabei). Während die acht Mann starke Flugbesatzung immer durch Personal des MFG 3 „Graf Zeppelin" gestellt wurde, bestand die neunköpfige Aufklärungsbesatzung (SIGINT-Crew) aus Spezialisten von Marine und Luftwaffe. Sie waren über Jahrzehnte dem Marinefernmeldestab 70 (Flensburg) und dem Fernmeldestab 70 (Trier) zugeordnet. Während des „Kalten Krieges" konzentrierte sich die Arbeit vor allem auf Flüge entlang der innerdeutschen Grenze und über dem Seegebiet der Ostsee, aber auch über dem Atlantik und der Norwegensee.



Mit Beginn der Einsätze im Zusammenhang mit der Krise auf dem Balkan wurden die SIGINT Crews durch Personal aus Luftwaffe und Marine gemischt besetzt. Die Teilnahme an internationalen Manövern in verschiedenen Seegebieten (z.B. Team-Work-78 im Seegebiet um Island) nahm stark zu. Einsätze gab es in Griechenland, Italien, Norwegen, England/Schottland und Frankreich. Das Auftragsspektrum erweiterte sich stetig. Neben „Adhoc-Missionen" waren auch Orte wie Mombasa, Korsika oder Keflavik Startpunkt der Aufklärungsmaschinen.

2004 wurden die Fernmeldestäbe dem Kommando Strategische Aufklärung unterstellt. Die Einsätze gingen weiter, das Ziel hieß nach wie vor: Aufklärung und Datenbeschaffung!


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Am 15. Juni 2010 absolvierte die letzte BR Atlantic ihren letzten Einsatzflug in die Ostsee.

Hier gab es zum letzten Mal gute Einsatzergebnisse und das Flugzeug flog über Rügen (so haben sich die Zeiten geändert) seinen Heimatflughafen Nordholz an, wo bereits der Kommodore des Marinefliegergeschwaders 3, Fregattenkapitän Christoph Beer, auf die landende Besatzung wartete. Die letzte Aufklärungsflug-Besatzung, darunter auch Kapitänleutnant Darius Marchewka von der Sprechfunkaufklärungsgruppe, schrieb nach der Landung in Nordholz, die eigenen Namen an den Bug der letzten BR Atlantic. Am 18. Juni 2010, gegen 17.45 Uhr, flog die letzte BR Atlantic, mit der Bordnummer 6103, im Tiefflug (ca. 150 Meter) aus Richtung Langballig kommend über die Förde und Flensburg und verabschiedete sich so von der Ostsee. Sie flog nach Nordholz, wo sie nach einer Platzrunde, zweimal am Hangar vorbeiflog, wo ca. 700 geladene Gäste, aktive und ehemalige Geschwader-Angehörige, sich zum Abschiedsfest versammelt hatten. Auf den Abstellplätzen des Fliegerhorstes standen Flugzeuge verschiedener Typen und vieler Nationen, so aus den USA, Großbritanien, Belgien, Holland, Norwegen, Frankreich, Polen, Italien und Portugal.


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Der Kommodore des MFG 3, Fregattenkapitän Christoph Beer, sprach aus der vorbeifliegenden Maschine zu den versammelten Gästen. Die Ansprache wurde per Lautsprecher in den Hangar und auf das Vorfeld übertragen. Wehmut kam auf, denn ca. 5000 Flugstunden (Verfasser) auf diesem „Vogel" verbinden Mensch und Gerät.

Von Comint-Seite waren bei der Außerdienststellung in Nordholz vier der ersten Besatzungsangehörigen der fliegenden Seefernaufklärung aus dem Bereich des ehemaligen Marinefernmeldestabes 70 in Flensburg-Mürwik, Kapitänleutnant a.D. Bernhard W. Mroß, Stabsbootsmann a.D. Dieter Pietsch, Oberstabsbootsmann a.D. Stefan Petriuk und Kapitänleutnant a.D. Willi Seigis, dabei.


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Am Sonntag, dem 20. Juni 2010, um 17.00 Uhr, landete die letzte „Atlantic" der Marine zum letzten Mal auf dem Marinefliegerhorst in Nordholz — es war der letzte „Touchdown", wie die Flieger es auszudrücken pflegen. Stilvoll wurde dieser letzte Auftritt inszeniert. Flankiert von zwei in fünf Meter Höhe schwebenden Sea-Lynx-Marinehubschraubern rollte die Breguet auf die in ca. 15 Meter Entfernung stehenden Zuschauer zu. Rechts und links hatten eine Do 228 und eine P 3 Orion (Nachfolgeflugzeug) Position bezogen. Die Fliegerhorst-Feuerwehr erwies flankierend der Atlantic auch die letzte Ehre. Am Ende der Tragflächen der gelandeten BR Atlantic positionierte sich jeweils eine Flieger-Crew des MFG 3. Die Triebwerke wurden abgestellt, die Hubschrauber landeten. Aus dem Heck der Atlantic stieg die Crew und positionierte sich vor dem Flugzeugbug. „Herr Kap'tän, melde letzten Flug durchgeführt. Maschine einsatzklar. Mission completed!", meldete der Pilot, Fregattenkapitän Sönke Scheidewind, an den Geschwaderkommodore, Fregattenkapitän Beer, der anschließend Urkunden an die letzte Besatzung für die Teilnahme am letzten Flug mit der BR Atlantic verteilte. Die Crew-Mitglieder kämpften sichtbar mit den Tränen als über die Lautsprecher Andrea Bocellis Abschiedshymne „It's time to say Goodbye" ertönte und die Zuschauer applaudierten.

Die Spannung löste sich erst als alle umstehenden Ehemaligen, an der Spitze mit Admiral „Atze" Kriebel, zu einem letzten Gruppenbild nach vorn, vor ihre Breguet, traten. Dieser Abschiedstag wird für alle Aktiven und ehemaligen Flieger immer etwas Besonderes bleiben.
Die Breguet Atlantic, sowohl die U-Jagd und als auch SIGINT Version, hatten der Flotte ca. 45 Jahre lang als U-Jäger und „Ohr und Auge" gedient. Bei insgesamt drei Flugunfällen der BR Atlantic kamen, bis auf einen Schwerverletzten, alle Besatzungsmitglieder mit dem Schrecken davon. Die Gesamtflugstundenzahl der BR Atlantic beträgt ca. 202.009 Stunden. Sie war das größte Kampfflugzeug der Bundeswehr.

It's time to say Goodbye

Adieu du großer und uns allen vertrauter „flüsternder Riese", du liebe „Brigitte"!


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